Wo ist das Haus Gottes?

Hartmut Ising

Mit dem Begriff „Haus Gottes" verbinden unsere Mitmenschen verschiedene Vorstellungen; die meisten werden sicherlich an irgendwelche Sakralbauten denken. Einige werden sich auch an die Worte des Apostels Paulus erinnern (1 Tim 3,15): „...damit du weißt, wie man sich verhalten muss im Hause Gottes, das die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit".

Jakob in Bethel

Im AT begegnet uns der Begriff „Haus Gottes" zum ersten Mal in 1 M 28, 17, als Jakob Gott gelobte, in Bethel (Haus Gottes) ein Haus Gottes zu errichten. Später wurde er nach gefährlichen Irrwegen von Gott nach Bethel geschickt (1 M 35,1). Aber bevor Gott ihm den Segen Abrahams geben konnte und er zur Anbetung Gottes würdig wurde, mußten die fremden Götter aus seinem Haus verschwinden. Diese Vorbedingung gilt auch heute. Achten wir darauf, es geht nicht nur um unsere persönliche Stellung vor Gott sondern auch um die unseres Hauses (vgl.1 Tim 3,4-5 u.12).

Gott wählt den Ort der Anbetung

Später wurde das Zelt der Zusammenkunft „Haus Gottes" genannt (Ri 18,31). Auch David bezeichnete das Zelt, das er für die Bundeslade in Jerusalem errichtet hatte, als Haus des HERRN (2 Sam 6,17 u.12,20 vgl. auch Ps 23,6). Gott segnete David ganz außerordentlich, weil er das Anliegen hatte, Gott ein Haus zu bauen (2 Sam 7,1-16). Aber der Ort für dieses Haus war noch nicht von Gott offenbart worden (5 M 12,4-5). Erst nach einem schweren Gericht über Israel erkannte David, welchen Ort Gott für Sein Haus ausgewählt hatte und wagte fortan nicht mehr, an einem anderen Ort Gottes Angesicht zu suchen (1 Chr 21,28-22,1 vgl. auch 5 M 12,8-14). Nun hatte Gott Sein Volk zu der verheißenen Ruhe geführt und ließ die in 5 M 12 gegebene Anordnung in Kraft treten. David, der Mann nach Gottes Herzen, hielt sich bis an sein Lebensende an diese Anordnung.

Gottesdienst im Tempel und auf den Höhen

Sein Sohn Salomo liebte den HERRN (1 Kön 3,3); jedoch begann er seinen Gottesdienst an einem Ort, den Gott nicht erwählt hatte. Und Gott war so gütig, dass er trotzdem an diesem Ort zu Salomo im Traum sprach. Es war ja auch ein Ort mit bester Tradition, die Höhe Gibeon mit der Stiftshütte und dem Brandopferalter. David selbst hatte dort regelmäßige Gottesdienste eingerichtet. Ist es deshalb verwunderlich, dass sein Sohn dort den HERRN suchte? Er war nicht vom Schrecken über das Schwert des HERRN erfasst, wie sein Vater David. Allerdings hatte David offenbar diesen Gottesdienst aus der Übergangszeit auf der Höhe Gibeon nicht abgeschafft, nachdem Gott den Ort Seiner Wahl offenbart hatte. In Israel wucherte dann der Höhendienst neben dem wahren Gottesdienst im Haus Gottes in Jerusalem. Erst kurz vor der Babylonischen Gefangenschaft machte König Josia mit diesem eigenwilligen Gottesdienst auf den Höhen Schluss (2 Kö 23,4-20 u.25).

Anbetung Gottes in neutestamentlicher Zeit

Was können wir aus diesen Geschichten lernen? Wir wissen, dass die Zeit gekommen ist, wo Gott nicht mehr an irgendwelchen „heiligen Stätten" angebetet wird. Gott sucht statt dessen wahre Anbeter, die IHN in Geist und Wahrheit anbeten. Was hat das aber mit dem „Haus Gottes" zu tun? Wo ist heute Gottes Haus?

Wir haben uns am Anfang an 1 Tim 3, 15 erinnert, wo die Gemeinde als Haus Gottes bezeichnet wird. Ist Gottes Haus überall da,

Zur Beantwortung dieser Fragen kann uns die Lektion über die Höhe Gibeon und den Berg Morija (1 Kön 3,3-4 u.2 Chr 3,1) wertvolle Hilfe leisten. Wenn also „Gottes Haus" nicht so weitreichend definiert werden kann, was ist dann mit „Gottes Haus" gemeint? Ich meine, die richtige Definition wird durch den Begriff selbst klar gegeben.

Die Frage der Autorität

Wir brauchen uns nur zu überlegen, was es bedeutet, wenn wir vom „Haus des Herrn X." sprechen. Es ist klar, dass Herr X. dort Hausherr ist. Wenn nun jemand in sein Haus kommt und dort tut, was er will, dann begeht er Hausfriedensbruch. Was tut Gott, wenn Menschen in Seinem Haus tun, was sie wollen? Vergleichen wir Joh 2,16 mit Mt 23, 38. Zu Beginn Seiner öffentlichen Tätigkeit bezeichnete unser Herr Jesus den Tempel in Jerusalem als das Haus Seines Vaters; am Ende dagegen, als die religiösen Führer ihren Eigenwillen durchsetzten, nennt er es „euer Haus". Es gibt also die Möglichkeit, dass Gott sich aus Seinem Haus zurückzieht und es Menschen überlässt, die sich nicht von Seinem Willen leiten lassen wollen.

Israel und Juda hatten nicht aus der eigenen Geschichte gelernt. Der HERR hatte Juda gewarnt:Geht doch hin zu meiner Stätte in Silo, wo ich zuerst meinen Namen wohnen ließ, und seht, wie ich mit ihr verfahren bin wegen der Bosheit meines Volkes Israel! (Jer 7,12). Aber Juda verließ sich auf Lügenworte und behauptete, Gott könne Jerusalem nicht dem Gericht übergeben, da dort ja der Tempel des HERRN stand (Jer 7,4). Deshalb fragte der HERR durch Jeremia:Ist denn dieses Haus, das nach meinem Namen genannt ist, in euren Augen zu einer Räuberhöhle geworden? (Jer 7,11). Danach kündigte er das Gericht auch über dieses Haus an:Und nun, weil ihr alle diese Freveltaten verübt habt, spricht der HERR, ... will ich auch mit dem Hause, das nach meinem Namen genannt ist und darauf ihr euch verlasset, mit dem Orte, den ich euch und euren Vätern gegeben habe, so verfahren, wie ich mit Silo verfahren bin;(Jer 7,13-14). Einige Zeit später spricht dann der HERR: Ich habe mein Haus verlassen, mein Erbe verstoßen; ich habe den Liebling meiner Seele in die Hand seiner Feinde gegeben(Jer 12,7).Man spürt diesen Worten an, wie schwer es dem HERRN wurde, den Liebling seiner Seele dem Gericht zu übergeben. Im letzten Kapitel des Buches Jeremia wird dann die Vollstreckung des Gerichts an Jerusalem und dem Tempel berichtet (Jer 52,13).

Gott ändert auch in neutestamentlicher Zeit nicht die Prinzipien seines Handelns. Die Gemeinde ist jetzt der Tempel Gottes (2.Kor 6,16) – auch die Gemeinde in Laodizea. Aber zu der Zeit des Senschreibens war diese Gemeinde gerichtsreif. Der Herr stand als Richter außerhalb der Gemeinde und war bereit, sie auszuspeien (Off 3,16). Gleichzeitig mit der Gerichtsandrohung an die Gemeinde steht der Herr Jesus aber vor der Tür des einzelnen (nur äußerlichen?) Gemeindemitgliedes und bittet um Einlass (Off 3,20). Gibt es Parallelen dazu auch in der Kirchengeschichte?

Denken wir an die Reformationszeit. Luther fand durch Gottes Güte zurück zur Gerechtigkeit aus Glauben. Er verstand, dass sich die Menschen nicht mit „guten Werken" eine Platz im Himmel erkaufen können, sondern dass sie mit dem Blut Jesu Christi aus der Sklaverei Satans freigekauft wurden. Diese Erlösung wird durch persönlichen Glauben für den einzelnen Menschen rechtskräftig, denn Gott zwingt keinen Menschen, Seine Erlösung anzunehmen. Luther erkannte auch, dass die Menschen, die diese Erlösung im Glauben angenommen hatten, nun auch so als Gemeinde zusammenkommen sollten, dass Gott in allem die Autorität hat (vgl. seine Vorrede zur Deutschen Messe). Später verwarf er diesen Gedanken als undurchführbare Utopie und unterstellte die junge evangelische Kirche der Autorität der evangelischen Landesherren. Gotteskinder, die diese weltliche Autorität in der Gemeinde nicht akzeptierten, wurden auf Luthers Rat hin des Landes verwiesen. Zur gleichen Zeit wandelte sich Luther von einem Freund Israels zum Begründer des Antisemitismus innerhalb der evangelischen Kirche. Und Gott überließ diese Organisation den Menschen, die „Kraft ihres Amtes" die Autorität beanspruchten.

Mit Hitlers Machtergreifung begann auch das Ringen um die „Gleichschaltung" der christlichen Kreise. Der NS-Staat beanspruchte die Autorität in der Gemeinde Gottes und verbot 1937 die „Christliche Versammlung". Nach einiger Zeit handelte Dr. Becker und andere Brüder mit NS-Behörden einen Kompromiss aus, der es gestattete, die früheren Glieder der „Christlichen Versammlung" unter den Bedingungen der Gestapo nach straffem Führerprinzip und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des NS-Staates neu zu organisieren. Wer hatte in dieser Organisation (BfC) die Autorität? War diese Organisation bzw. die einzelnen Gemeinden „Haus Gottes"? Gab es nach 1945 eine wahrhaftige, konsequente Umkehr von diesem falschen Weg? Mir wurde von echter Umkehr einzelner Gemeinden berichtet. Geschwister, die zur „alten Versammlung" zurückgingen, haben dagegen in der Regel eine radikale Umkehr von dem Kompromissweg während der NS-Zeit vollzogen.

Wäre es dann für mich nicht konsequent, ebenfalls zur „alten Versammlung" zu gehen? Um diese Frage zu beantworten, muss geklärt werden, ob dort die Autorität Gottes respektiert wird. Hierbei geht es mir nicht um einzelne Fälle, wo die alte menschliche Natur Gottes Willen widersteht. Das kommt - leider - in allen Gemeinden vor und muss uns immer wieder neu zur Umkehr führen. Für mich ist entscheidend, ob in einer Gemeinde Regeln oder Vorschriften allgemein anerkannt und durchgeführt werden, die mit Gottes Autorität in Konflikt stehen. So etwas gibt es leider auch in der „alten Versammlung".

Es ist mehrfach vorgekommen, dass Gotteskinder zu unrecht von Versammlungen ausgeschlossen wurden. Solch ein Ausschluss wurde dann jahrelang von allen anderen Versammlungen dieses „circle of fellowship" praktisch befolgt, obwohl in mindestens einem speziellen Fall fast alle anderen Versammlungen von der Unrechtmäßigkeit des Ausschlusses überzeugt waren und sind. Auf diese Weise wird durch ein von Menschen eingeführtes Formalgesetz die Autorität Gottes in Seinem Hause mißachtet - genau wie vor knapp 2000 Jahren bei den Pharisäern (vgl. Mk 7,8-13).

Neben der formalistischen Anerkennung auch von ungerechtfertigten Ausschlüssen gibt es leider noch andere Beispiele dafür, dass in der „alten Versammlung" menschliche Vorschriften mit Gottes Autorität in Konflikt stehen, so z.B. bei der Frage der Anerkennung neuer Versammlungen. Auf diesem Flügel des Spektrums christlicher Gemeinden wurde aus der Bemühung, die Einheit des Leibes Christi zu wahren, in der praktischen Ausführung Gott die Autorität in seinem Hause streitig gemacht. Es ist mir vom Gewissen her unmöglich, mich solchen Menschengeboten zu beugen.

Auf dem anderen Flügel des Spektrums christlicher Gemeinden herrschen andere Missstände. Hier werden z.B. Aussagen der Bibel als Mythen betrachtet (eine von den Sadduzäern her bekannte Denkweise, vgl. Apg 23,8) und klare Anweisungen Gottes für das Verhalten in Seinem Haus außer Kraft gesetzt. Ein Beispiel dafür ist die Ordination von Frauen (vgl. 1 Kor 14,34-35 u. 1 Tim 2,12-14). Vertretern dieses Flügels erscheinen Bedenken gegen die Frauenordination als Haarspalterei. Für sie ist ein geschlossenes Erscheinungsbild der Christen vor der Welt das wesentliche Leitmotiv. Dieses Leitmotiv ist sicherlich gut, aber der Zweck heiligt nicht die Mittel! Kann man von Christen solcher Prägung erwarten, dass sie für andere Verständnis haben, deren Hauptanliegen die Autorität Gottes in Seinem Haus ist? Können diese Christen verstehen, dass es mir unter solchen Bedingungen kaum möglich ist, Gott in Geist und Wahrheit anzubeten?

Die Ordnungen der Väter

Vielleicht kann unser Beispiel von David und Salomo dieses Verständnis fördern. David war durch das Erlebnis von Gottes Gericht und Gnade so tief erschüttert, dass er nicht einmal wagte, vor den nach Gottes Angaben gebauten Altar zu treten, um Gott zu opfern, wie es Israel Jahrhunderte lang nach Gottes Willen getan hatte. Sein Erlebnis mit dem heiligen und erbarmenden Gott bestimmte bis zu seinem Lebensende seinen Gottesdienst.

Salomo hatte noch keine ähnliche Erfahrung mit Gott gemacht. Aber er „liebte den Herrn, so dass er in den Ordnungen seines Vaters lebte" (1 Kön 3,3).Dazu gehörte auch der von seinem Vater eingeführte Gottesdienst auf der Höhe Gibeon. Salomo richtete sich also danach, wie sein Vater früher einmal den Willen Gottes verstanden hatte und baute anschließend an dem Ort nach Gottes Wahl den Tempel. Ein Studium von 5 M 12 hätte ihn vor dieser Zweigleisigkeit bewahren können, nicht aber die Orientierung an der Tradition, die sein Vater eingeführt hatte. Deshalb sollten wir – trotz aller Hochachtung vor den Glaubenstaten von Gottesmännern wie Luther, Darby und anderen – unsere Entscheidungen in der Gemeinde allein an Gottes Wort ausrichten. Dabei muss unsere Gottesfurcht so dominieren, dass Menschenfurcht völlig gegenstandslos wird. Anderenfalls besteht die ernste Gefahr, dass Kompromisswege die Autorität Gottes infrage stellen.

Vermeidung von menschlichem Streit

Zwischen Vertretern der oben dargestellten entgegengesetzten Flügel kam es in der Vergangenheit leider oft zu Spannungen und Streit - zur Unehre Gottes. Wie kann dies in Zukunft vermieden werden?

Zwei oder drei Christen wollen sich im Namen Jesu Christi versammeln. Was bedeutet das praktisch? Wir wollen uns das an einem Beispiel aus dem Arbeitsleben verdeutlichen. Wenn ein Untergebener im Namen seines Chefs einen Brief schreiben soll, so wird zuerst ein Entwurf zur Genehmigung vorgelegt. Der Chef streicht alles an, was nach Form und Inhalt nicht seinem Wunsch entspricht. Nur wer seinen Chef sehr gut kennt, wird schon beim ersten Entwurf volle Zustimmung finden.

Auf den geistlichen Bereich übertragen zeigt uns dieses Beispiel, dass wir uns nur dann wirklich im Namen unseres Herrn Jesus versammeln können, wenn wir Ihn sehr gut kennen; dann ist Er in unserer Mitte, und wir handeln in voller Übereinstimmung mit Seinem Willen. Es wird kaum jemand behaupten, dass diese wunderbare Übereinstimmung mit Seinem Willen heute die Versammlungen der Gläubigen bestimmt.

Wenn sich also heute zwei oder drei Christen versammeln und dabei bekennen, dies im Namen Jesu Christi zu tun, so ist damit noch lange nicht garantiert, dass alles nach Seinem Willen und Wohlgefallen geschieht. Unsere Situation kann mit einem Dreieck oder einer Pyramide verglichen werden. Wir alle bekennen, dass Jesus Christus unser Herr ist und dass wir im Glauben mit Ihm verbunden sind. Im Bild lässt sich das darstellen, indem Jesus Christus die Spitze eines Dreiecks oder einer Pyramide bildet. Die zwei bzw. drei Christen bilden dann die Endpunkte der Grundlinie bzw. die Ecken der Grundfläche des Dreiecks bzw. der Pyramide. Kommen nun die einzelnen Christen dem Herrn näher, so verkleinert sich gleichzeitig auch ihr Abstand von einander. Der beste Weg zum Einssein wirklicher Christen ist deshalb eine engere Verbindung des einzelnen Gläubigen mit Seinem Herrn.

Der Weg zu Gottes Haus heute

Indem wir beginnen, Gottes Nähe mit allen Kräften zu suchen, tun wir Gottes Willen (5 M 6,5) und lieben IHN mit allen Kräften. Das Begraben des Kampfes für den eigenen Standpunkt entspricht dem Begraben der falschen Götter in 1 M 35,2-4 und ist eine Voraussetzung für wahre Anbetung. Eine weitere Voraussetzung finden wir in Heb.13,13. Vor einigen Generationen haben mutige Christen ihre religiösen Lager (christliche Denominationen) verlassen und dafür die Schmach Christi getragen. Heute findet in verschiedenen Ländern ein ähnlicher Prozess statt, indem ganze Gemeinden den biblischen Weg suchen und sich dabei nicht durch die Kritik anderer Gemeinden ihrer Tradition abschrecken lassen. Diese Umkehr zu einem Weg der Ausgewogenheit von Wahrheit und Liebe beobachte ich mit großer Freude und Dankbarkeit.

Wo Gotteskinder in dieser Herzenshaltung zusammenkommen, auch wenn es nur zwei oder drei sind, ist der HERR in uneingeschränkter Autorität in ihrer Mitte (Mt 18,20). Auf diese Weise können wir auch heute Gottes Haus finden. Ein guter Start auf diesem Weg zu Gottes Haus ist das Gebet Davids aus Psalm 139,23-24: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg des Abgottes bei mir ist, und leite mich auf dem ewigen Weg!"


Nachwort

Dieser Artikel wurde im Jahr 1993 in der Zeitschrift „Wegweisung“ veröffentlicht. Inzwischen habe ich auch mit vielen Gotteskindern aus der sog. AV gesegnete Gemeinschaft erleben dürfen, persönlich, in der Wortverkündigung und am Tisch des Herrn, wo der Vater in Geist und Wahrheit angebetet wurde. Dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar.

In unserer traurigen Situation von Spaltungen unter Gotteskindern gilt für jeden Einzelnen das Gebot, die Einheit des Geistes mit Fleiß zu bewahren. Wir alle haben den Auftrag, so zu leben, dass die Einheit mit den Geschwistern, mit denen wir in praktischer Gemeinschaft leben, bewahrt wird – unabhängig davon ob unsere geistliche Heimat innerhalb oder außerhalb des „circle of fellowship“ angesiedelt ist. Dabei darf allerdings kein klares Gebot unseres Herrn übertreten werden; insbesondere ist zu beachten, dass jegliche Instrumentalisierung der Gemeinschaft am Tisch des Herrn ein trauriger Fehler ist.

Die Frage nach dem richtigen Ort der Anbetung beruht auf des der Denkgrundlage des alttestamentlichen Gottesdienstes. Die Antwort unseres Herrn beschreibt prophetisch den neutestamentlichen Gottesdienst (Joh.4,23): die Stunde kommt und ist schon da, wo die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden.

Die Gotteskinder auf der ganzen Welt bilden ein einziges geistliches Haus (Eph.2,19-22; 1.Pet.2,5) und werden aufgebaut zu einer Behausung Gottes im Geist. Dabei trägt jedes Gotteskind Verantwortung dafür, dass der Tempel Gottes nicht verdorben wird (1.Kor.3,16-17). Zu solchem Verderben führen besonders ein fortgesetztes Leben in Sünde (1.Kor.5,1-5) und eine falsche Lehre über unseren Herrn Jesus (2.Joh.7-11).

Wer sich so etwas zu Schulden kommen lässt und entgegen der Ermahnung durch einzelne Geschwister und durch die Gemeinde an seinem Sündenleben festhält, muss aus der Versammlung ausgeschlossen werden. Wo ist nun dieser Ausschluss gültig – nur in der ausschließenden Versammlung? Dieter Boddenberg*) schreibt dazu: Die Versammlungen sind verbunden durch eine durch den Geist gewirkte, in der Liebe begründete innige Gemeinschaft (Apg.15,36 / Rm.15,7 /1.Kor.12 / Rm.12). – Deshalb findet sich grundlegend auch immer gegenseitige Achtung und Anerkennung der Beschlüsse. Aber aus der Eigenverantwortlichkeit vor dem Herrn resultiert auch die Notwendigkeit der Prüfung an der Schrift, was diese Beschlüsse angeht.

Mit diesen Beschlüssen bezieht sich Dieter Boddenberg auf Ausschlüsse einzelner, in Sünde lebender oder falsch lehrender Personen. Diese Beschlüsse müssen in Übereinstimmung mit den Gedanken des Herrn sein. Ein willkürliches Binden oder Lösen wird vor dem Herrn keinen Bestand und somit keine Gültigkeit haben. Es wird deshalb immer wieder Fälle geben, in denen eine genaue Prüfung der Umstände erforderlich ist.

Im Jahr 1988 wurde von der Christlichen Schriftenverbreitung, Hückeswagen eine Broschüre von Hamilton Smith mit dem Titel “Neutralität und Unabhängigkeit der Versammlungen?“ herausgegeben mit einem Nachwort des Herausgebers zur Situation in Deutschland. Darin nimmt der Herausgeber Stellung zu dem Aufsatz von Dieter Boddenberg, aus dem das oben angeführte Zitat stammt. Der vollständige Artikel von Dieter Boddenberg ist im Anhang angefügt. Die Broschüre von CSV, Hückeswagen kann vom Beröä-Verlag bezogen werden. Auf der Grundlage dieser beiden Dokumente kann sich jeder Interessierte seine eigene Meinung zu diesen Fragen bilden.

Meine Meinung will ich im Folgende kurz skizzieren. Hamilton Smith schreibt im Kapitel „Ursprung der Offenen Brüder“: Im Licht von 2.Joh.7-11 kamen Brüder mit geistlichem Urteilsvermögen zu der Überzeugung, dass die mit Newton in Verbindung stehenden Personen – auch wenn sie dessen Lehren ablehnten – nach der Schrift „an seinen Werken teilnahmen“ und daher nicht aufgenommen werden konnten, bis sie sich von ihren verkehrten Verbindungen gelöst hatten.

Diese Ansicht wurde motiviert vom Gewissen von Brüdern, die dem Herrn treu folgen wollten. In Empfehlungsbriefen von Versammlungen aus dem „circle of fellowship“ wurde diese Sicht auch in neuerer Zeit durch den Begriff der „absoluten Absonderung“ zum Ausdruck gebracht. Für mich ist der Weg der absoluten Absonderung nicht mit meinem Gewissen vereinbar. Ich werde aber niemanden verurteilen, der seinem Gewissen folgend diesen Weg geht.

Ein Bruder, der viele Jahre lang auch diese „absolute Absonderung“ für richtig gehalten hatte, sagte mir etwa Folgendes: „Ich nahm an, dass der schmale Weg auf der rechten Seite von dem Felsmassiv der Wahrheit begrenzt wird und nur auf der linken Seite ein Absturz droht. Inzwischen habe ich gelernt, dass man auf beiden Seiten abstürzen kann. Der schmale Weg ist bestimmt durch Ausgewogenheit von Liebe und Wahrheit.“

Was bedeutet für mich dieser schmale Weg der Ausgewogenheit von Liebe und Wahrheit? Für mein Verhältnis zu Brüdern, die den Weg der absoluten Absonderung konsequent gehen, ist die Haltung Robert Chapmans richtungsweisend. Er sagte von den Gotteskindern, die nach der Trennung von 1848 mit J.N. Darby in Gemeinschaft waren: „Sie sind meine lieben Geschwister, denen ihr Gewissen es nicht zulässt, mit mir am Tisch des Herr Gemeinschaft zu haben.“

Hartmut Ising (2021-02)

*) Kollektive Verantwortlichkeit

(veröffentlicht in einer Beilage zur „Wegweisung“)

Dieter Boddenberg

Wenn wir ein derartiges Thema vor uns haben, müssen wir zunächst überlegen, was denn Oberhaupt damit gemeint sein könnte. Daher ist es erforderlich, zuerst einmal die Begriffe der Themastellung zu untersuchen:

1. Verantwortlichkeit

Wir kennen diesen Begriff aus dem täglichen Leben. (Ich bin z.B. verantwortlich für die Versorgung meiner Familie.) Wir kennen diesen Begriff aber ebenso gut aus dem uns hier in Sonderheit beschäftigenden geistlichen Bereich. (Ich bin z.B. verantwortlich für die Gabe und deren Verwaltung, die mir der Herr anvertraut hat.) Beides zusammengefaßt erklärt uns dann, daß der, der verantwortlich ist, Antwort zu geben hat, und zwar dem gegenüber, dem er verantwortlich ist. Er hat also Antwort oder Rechenschaft oder Nachweis der Berechtigung zu irgend etwas zu geben.

Wenn wir demnach auf den Begriff hörend reagieren wollen, müssen wir sofort nach der Bezugsgröße fragen, nach dem, dem ich unterworfen, dem ich verpflichtet bin, weil Verantwortlichkeit letztlich Schuld ist, die man entweder ableisten oder schuldig bleiben kann. Wir wollen es sofort auf uns geistlich übertragen: Es ist für uns alle klar und unumstritten, daß man verantwortlich ist als Einzelperson

1. dem Herrn gegenüber,

2. den Geschwistern gegenüber,

und zwar jeweils für eine Aussage oder Handlung meinerseits. Dies aber soll unter unserem Thema nicht untersucht werden, obwohl es die Grundlage für jede Art von Verantwortlichkeit ist. Wir wollen hingegen die Begriffsdefinition nicht zu weit laufen lassen, vor allem auch nicht auf die von verschiedenen geistlichen Autoren ausgeführten Unterschiede der Verantwortlichkeit je nach der Art der anvertrauten Gabe ausdehnen.

(s. hierunter W. Nee: Verantw. für das Werk und die Gemeinde)

Weil unser Thema andere spezielle Zielrichtung hat, fragen wir als

2. Was meint k o l l e k t i v ?

Der Begriff des Kollektivs ist uns aus anderen Gesellschaftsstrukturen bekannt. Kollektiv meint: eine Arbeits- oder Lebensgruppe, in der die Persönlichkeit des einzelnen von zweitrangiger Bedeutung ist. Das Bewußtsein des einzelnen wird durch das Bewußtsein der überragenden Bedeutung der Gruppe als Gesamtheit verdrängt. An die Stelle der persönlichen Verantwortung tritt die Verantwortlichkeit der Gemeinschaft und des einzelnen der Gemeinschaft gegenüber. Manchmal wird auch statt dieses Begriffs der Begriff "korporativ" gebraucht. Man kann das tun, muß sich jedoch der feinen Unterschiede in den Akzenten bewußt sein. Während bei ersten mehr die Betonung auf Funktion der Gesamtheit liegt, liegt sie beim zweiten mehr auf der Abgeschlossenheit des Existierenden (Körperschaft).

Es kann also bei unserer Thematik gemeint sein die Verantwortlichkeit

a) 1. eines Kollektivs dem Herrn gegenüber, was sicher auch hier nur wieder die Basis darstellen muß,

2. eines einzelnen einem Kollektiv,

b) eines Kollektivs einem einzelnen,

c) eines Kollektivs einem Kollektiv gegenüber.

Geistlich übertragen und auf die Ortsversammlungen sowie die dazu gehörenden Gläubigen bezogen (und das ist ja das, was uns hier besonders interessieren soll und darf), sind alle drei zu untersuchenden Arten theoretisch im geistlichen Bereich anwendbar. Ob mit Recht, werden wir sehen.

a) 1. Verantwortlichkeit eines Kollektivs dem Herrn gegenüber:

Zur Verantwortlichkeit der Gemeinde als Ortsgemeinde dem Herrn gegenüber könnte und müßte man unendlich viel sagen. Jedes GIied der Gemeinde ist dabei aufgerufen. Besonderer Verantwortlichkeit aber unterliegen die Männer in der Gemeinde, die vom Heiligen Geist dort als Aufseher eingesetzt sind und diese Dienste tun. Sie haben die Herde zu hüten, für deren Wohlergehen zu sorgen und deren Reinheit zu überwachen, so daß sie dem Charakter ihrer Beziehung zu Gott entspricht. Dies alles ist auch in seinen Details uns ausführlich bekannt; wir wollen deshalb heute nicht weiter darauf eingehen.

a) 2. Die Verantwortlichkeit des Einzelnen dem Kollektiv gegenüber

Wenn wir dabei unter Kollektiv die einzelnen Ortsgemeinden verstehen, ist der gleiche Bezug klar. Jede Gemeinde besteht in ihrem Versuch der Darstellung der Versammlung des lebendigen Gottes auf der Erde am jeweiligen Ort aus einer mehr oder weniger großen Zahl von Gliedern. Da zur Ortsgemeinde alle dort wohnenden wiedergeborenen Menschen gehören, sich jedoch nicht diese alle aus Gehorsam dem Akt der Darstellung des Größeren unterziehen, kann die Ortsgemeinde nie behaupten, die Gemeinde zu sein oder die Gesamtheit der örtlich existierenden Glieder vollständig zu repräsentieren. Wir halten aber fest: Der Versuch der Darstellung erfolgt zwar in aller Schwachheit, aber im Gehorsam und ist daher das schwache Zeugnis für die Welt und Gottes designierter Träger der biblischen Wahrheitsaussagen. Jedes Glied dieser Gemeinde ist ein integrierender Bestandteil dieser Gruppe. Als solcher ist es dem Kollektiv gegenüber verantwortlich für sein persönliches Zeugnis in Meinung und Haltung. Es ist eine Frage des ausgeübten Aufseher- oder Ältestendienstes, in welchem Umfang und Intensität der einzelne diese Verantwortlichkeit erkennt, sich ihr fügt und so zur Leuchtkraft des Zeugnisses beiträgt.

b) Die Verantwortlichkeit des Kollektivs dem einzelnen gegenüber

Auch in diesem Falle sind die Aussagen der Schrift klar. Was die Gemeinschaft zu bieten imstande ist, hat sie zu bieten: Schutz gegen Gefahren in der Gemeinschaft, Befriedigung evtl. Bedürfnisse, das Nachgehen in der Ausübung brüderlicher Liebe, das Zurechtbringen bei sich einstellenden Irrwegen und schließlich das Schwerste: Das Handeln in bestimmten aufgezeichneten Zuchtmaßnahmen im Falle des Verharrens in der Sunde. Daß das Notwendigwerden des letzteren oft nur eine Folge der Versäumnisse bei den erstgenannten Verantwortlichkeiten ist, ist der zutiefst beugende Beweis unseres Mangels an Verständnis für diese Art der Pflichten.

Wie unter dem ersten Punkt wollen und können wir uns sicher auch hier heute nähere Ausführungen schenken. Es gibt über diese beiden Punkte in den Kreisen der Brüderversammlungen kaum unterschiedliche Ansichten und Lehrauffassungen der Aussagen der Heiligen Schrift. Anders dagegen ist es mit unserem nächsten Punkt.

Unter c) kommen wir zu dem eigentlichen Problem unseres Themas:

Verantwortlichkeit eines Kollektivs für ein anderes Kollektiv,

oder sagen wir es mit anderen Worten:

Die Verantwortlichkeit einer Versammlung für eine andere oder

Dem Ganzen gegenüber vor dem Herrn.

Bei diesem Thema teilen sich die Ansichten außerordentlich scharf. Sie reichen, was ihre Einstellung zur Ausgangsbasis wie auch zum Ergebnis angeht, von ''äußerst links bis äußerst rechts". Und sie müssen auch so unterschiedlich sein, entsprechen sie doch als Denkprodukt den unterschiedlichen Gemeindeauffassungen, die ihren großen Zusammenstoß im bekannten Bethesdastreit zu Bristol 1848 hatten. G. Müller und Newton auf der einen Seite und J. N. Darby auf der anderen waren die Kristallisationspunkte. Wollen wir ihre Haltung (und sie ist grundlegend wichtig) zu unserem Thema verstehen, müssen wir versuchen, die Gemeindeauffassung kurz zu skizzieren, ohne dabei den Bethesdastreit selbst zu behandeln.

1. Darbys Ansicht: Sie wurde verschiedentlich als die dem katholischen Gemeindeideal entsprechende bezeichnet oder vielleicht genauer, die dem der staatlichen High Church entsprechende. Im Anfang, so sagt Darby, gab es eine allgemein sichtbare, noch Gottes Vorstellungen gebaute, in der Tat verwirklichte Gemeinde. In ihrer Gesamtheit entspricht sie ebenso dem anderen Bilde des vollkommenen Leibes. So wie in diesem alles organisch verbunden und voneinander abhängig ist, was die Versorgung, Ordnung, Führung und Leitung angeht, ist es auch in dieser Kirche gewesen. Die Zusammenfassung aller damals existierenden Versammlungen und aller auf Erden lebender Christen als korporativer Begriff geriet aber schon recht früh in Verfall und verdarb. Mit diesem Verfall war auch das einheitliche Zeugnis dahin. Kirche besteht zwar weiter, aber im Zustand des Verfalls. Die einzelnen existierenden Versammlungen haben die gemeinsame Pflicht, "die Aufgabe der in Trümmern liegenden Kirche aufzunehmen, aber nicht als Kirche". Diese kann nie wieder hergestelIt werden, und Gemeinden nach neutestamentlichem Muster kann man nicht mehr bilden. Eine Darstellung der früher existierenden Einheitskirche ist aber denkbar. Die gesamte Christenheit ist die im Verfall lebende Kirche, zwar ohne Zeugnischarakter, aber „Kirche". Wenn aber nur eine Kirche existiert, so kann auch Darstellung derselben nur von allen Versammlungen gemeinsam verwirklicht werden. Daraus folgert die Notwendigkeit des korporativen Zusammenhalts. Wer sich auf diesem Boden der Wahrheit befindet und mit diesen Geschwistern und Versammlungen Gemeinschaft hat, hat logischerweise mit den anderen, die auf falschem Boden stehen, keine Gemeinschaft. Bei diesen ist Zusammenkommen im Namen Jesu nicht gegeben, sie haben nicht den Tisch des Herrn, und sie haben ebenso wenig die Wahrheit. Soweit die Gemeindeauffassung Darbys.

Wer ihr folgt, muß automatisch zu den Weiterungen kommen, die wir kurz schildern wollen:

Die einzelne Versammlung als Kollektiv ist verantwortlich für jede andere. Alle hängen sie definitions- und naturgemäß voneinander ob. Deshalb kann es auch keine unmaßgeblichen Beschlüsse geben. Die von einer Versammlung beschlossenen Maßnahmen sind bindend für alle anderen, mit denen man in Gemeinschaft ist. Wer sich daran nicht hält, macht sich eins mit dem gemaßregelten Bösen. Nach dem Prlnzlp des Sauerteigs verunreinigt sich jede Versammlung wie auch jeder einzelne, der irgendwelche Gemeinschaft hat oder macht mit von Zuchtmaßnahmen Betroffenen. Dies gilt sinngemäß auch von solchen, die noch in Verbindung stehen mit unreinen Systemen. Dem folgend ist es unmöglich, Dienste von anderen Gabenträgern zu nutzen, die nicht auf dem Boden der Wahrheit stehen. Die Folgen sind deutlich: Stets neue Trennungen, da Abweichungen vom klar fixierten Kurs nicht geduldet werden können. Einseitigwerden und Verarmung infolge entsprechender Bedienung.

2. Müllers Ansicht: Die ecclesia besteht aus wiedergeborenen Menschen. Von einer "existierenden Kirche im Verfall!" weiß des Neue Testament nichts. Es gibt keine korporative Zusammenfassung aller Gläubigen in sichtbarer Art. Die ecclesia entspricht in einem anderen Bilde dem Leib des Christus. In den einzelnen Orten existieren sog. Ortsgemeinden, die ein Bild des unsichtbar Existierenden abgeben. Daß das Zeugnis der Wahrheit durch die einzelne Gemeinde klar abgestrahlt wird, ist der Verantwortung der Gemeinde unterworfen. Dafür schuldet sie allein dem Herrn Rechenschaft. Jede Ortsgemeinde ist selbständig und ohne äußere Bindung an andere Gemeinden. Es gibt nur ein einigendes aber damit auch völlig ausreichendes Band des Zusammenhalts, nämlich das des einen Geistes, des einen Wortes, der einen Liebe und des Bewußtseins der Zugehörigkeit zu dem einen Leibe. So war die Lage auch schon sehr froh zur Zeit der Apostel. Nie hat eine sichtbare Körperschaft existiert.

Folgerungen auch hieraus: Eine kollektive Verantwortlichkeit gibt es nicht. Die Beschlüsse und Maßnahmen anderer Gemeinden zu überprüfen und sie zu akzeptieren oder zu verwerfen, bleibt jeder Gemeinde vorbehalten. Selbstverständlich wird man kaum ohne schwerwiegende Gründe eine Anerkennung derselben versagen. Ein Ausschluß einer Versammlung durch eine andere aber kann es gar nicht geben, sonst bliebe die Frage, wovon denn? Es ist eine Frage der Mündigkeit der einzelnen Versammlung, wie stark die zu treffenden Maßnahmen sich am biblischen Bilde orientieren. In bezug auf die Nutzung der Gaben gibt es keine Grenzen. Die sich hieraus wiederum ergebenden, unter Umständen bereichernden Segenswirkungen sind abzuwägen gegenüber den Gefahren, die durch in ihrer Haltung und Zielsetzung nicht hinreichend bekannte Gabenträger entstehen und in die Gemeinde getragen werden können.

Wo stehen wir nun heute?

Manches klang schon in beiden Ansichten, resp. Folgerungen daraus an. Unseren Standpunkt zu fixieren, ist nicht einfach. Vielleicht sogar sollten wir das nicht einmal tun, weil darin schon wieder die neue Gefahr sowohl der Formierung zu einer Körperschaft wie auch die der Formlosigkeit stecken könnte.

Entscheidend ist es, das biblische Bild klarer und vor allem bewußter werden zu lassen. Niemals wollen wir versuchen, im Kompromiß zwischen dem "geschlossenen“ und dem "offenen" Standpunkt die optimale Lösung zu sehen.

Von beiden Gemeindeauffassungen sind wir geprägt und beeinflußt. Hüten wir uns aber vor irgendwelcher Form der Identifikation, damit uns weder der Vorwurf trifft, verengt zu sein in unseren Herzen noch der, uferlos weit zu sein. Wir sind allergisch gegenüber dem sog. exclusiven Standpunkt und fürchten zum anderen das maßlose, jede klare Stellungnahme vermeidende des zu Weiten.

Das biblische Bild zeichnet uns das Neue Testament getreu auf. Es sieht den einen Leib, der von dem einen Geist beseelt und beherrscht wird. Durch diesen Geist entsteht und besteht die Einheit unter dem einen Haupt und kann nicht zerbrochen werden. Zu diesem Leib gehören alle wiedergeborenen Gläubigen aller Zeiten, gleich welcher Gemeindeform sie sich jemals zurechneten oder jetzt zuordnen. Ihren sichtbaren Niederschlag oder Verwirklichung findet sie in der Ortsgemeinde. Für sie zeichnen uns die Briefe des Neuen Testaments klare und unbeschränkt gültige Ordnungen auf, z.B. 1.Tim., Titus, 1.Kor., 1.+ 2.Thess.-Brief, Mt. 18. Diese Grundsätze regeln die innere Struktur der Versammlung, das Verhalten der GIieder untereinander wie auch der Umwelt gegenüber. Zu allen Zeiten, auch in der Frühzeit, hat es unterschiedliche Ausprägungen der Gemeinde sowohl in ihrer inneren wie auch in ihrer äußeren Haltung gegeben. Wenn es auch immer der eine Geist war und ist, der alles an Leben echter Art hervorbringt, so benutzte er doch sehr unterschiedliche Werkzeuge, die ihre Eigenart in der Prägung der von ihnen gegründeten und bedienten Versammlungen nicht verleugnen konnten. Ebenso bestanden und bestehen in ihnen auch graduelle Unterschiede des geistlichen Wachstums und der Reife. Von daher ergibt sich auch der unterschiedliche Verwirklichungsstandard des anzustrebenden Bibelmaßstabs.

Was will denn der Geist in dieser Hinsicht erreichen? Ist es sein Ziel, eine Uniformität innerlich und äußerlich zu begründen? Dies wird uns doch nicht selten bei der persönlichen Arbeit vorgeworfen. Das kann nicht das Ziel sein, denn das würde zu leicht erneut in der Folge Starrheit und Unbeweglichkeit, ja maskenhafte Todesähnlichkeit mit sich bringen. Es widerspräche vor allem der Art, dem Charakter und der Zielsetzung des Geistes selbst. Wenn daher keine Uniformität, was dann? Homogenität muß die Antwort sein. Von der Anlage, von den Genen (Gottesnatur und -bestimmung) her soll die Ausrichtung in Glaube, Liebe und Hoffnung auf den wiederkommenden Herrn bezogen sein. Alle Vielfalt geistlicher Lebensäußerung ist dabei möglich. Ihre einzige aber wesentliche Beschränkung findet sie in der Barriere, die gesteckt ist durch den einen wirkenden Geist, der nicht sich selbst widersprechend wirken kann. Dies gilt in bezug auf Maß und Zucht, im Verhalten und Lehre genauso sehr wie bezüglich der Selbstbeschränkunq aus brüderlicher Liebe und Rücksichtnahme. Menschliche Maßstäbe, menschliches Zielen, Planen und strategisches Bestimmen haben dabei keinen Platz. Nicht die langsamste oder schnellste, weder die progressivste noch die konservativste Form oder Haltung bestimmen dabei das Tempo und die Richtung der Entwicklung. Allein die am geistlichen Bild der vom Geist gegebenen, im Wort verankerten Vorschrift findet sich alles Maß. Homogenität in der Ausrichtung ist also Zielsetzung des Geistes und jeder geistlichen Arbeit. Dies muß wachsen. Es erfordert Zeit. Im äußeren Erscheinungsbild muß sich das nicht unbedingt zeigen, wohl dagegen in der inneren Haltung und Beziehung zum Herrn.

Wir haben dies in aller Ausführlichkeit behandelt und ausgesprochen, weil es unser Thema erfordert und die nötige Antwort gibt, die Dauergeltung hat.

Offen bleiben noch Fragen praktischer Art:

1. Haftung der einzelnen Versammlung bezüglich des Ganzen gibt es nur in sehr beschränktem Umfang. Es ist Aufgabe der Einzelversammlung, die Klarheit und praktische Verwirklichung der bibl. Grundsätze der Reinheit in ihrem Zeugnis möglichst genau für sich zu realisieren. Einer Verantwortung für das Gelingen des Ganzen ist sie bei solchem Gehorsam enthoben. Sie beugt sich zwar unter das Versagen und steift sich trotz des im persönlichen Fall gegebenen relativen Gelingens mit unter das zu erwartende Urteil Gottes. Wie der einzelne jedoch ist sie für sich gerufen und vor dem Herrn verantwortlich, denn, wenn sie handelte, tat sie es ja in seinem Namen.

2. Verantwortlichkeit bezüglich anderer, vielleicht benachbarter Versammlungen gibt es ebenfalls nur in beschränktem Rahmen. Da das Prinzip der Selbständigkeit der örtlichen Versammlung schriftgemäße Basis ist, gibt es Einwirkungen nur in folgendem denkbaren Rahmen:

a) Vorbildhaftes Verhalten und Beeinflussung dadurch.

b) Brüderliche Fürbitte ohne die Praxis des öffentlichen Zurechtbetens.

c) Brüderliche Vorstellungen in Liebe. Wenn solche Brüder derart handelnd auftreten, werden sie in der Praxis die sein, die auch in der eigenen Versammlung Ältestendienste tun. Da wiederum Ältestendienst nur auf die eigene Versammlung bezogen gesehen werden kann und solche Brüder beim Besuch der anderen Versammlung dort nur Bruder unter Brüdern sein können, können sie auch nur, von Liebe getragen, erinnern und mahnen, die Wahrheit in Liebe festzuhalten. Irgendeine Art der Durchsetzungsgewalt ist von der Schrift her nicht erkennbar. Haben die Vorstellungen keine Erfolge, bleibt nur die trauernde Fürbitte und geduldiges Nachgehen.

3. Man mag vielleicht noch daran denken, daß kollektive Verantwortlichkeit auch ihren Ausdruck finden kann in von einer Gruppe einsichtiger, geistlich urteilender und überörtlich tätiger Bruder ausgesprochenen Warnungen. Die Überlegung nach der Legitimation ist nicht einfach. Man könnte sie stützen auf abgeleitete Vollmacht der Apostel. Ich denke, wir sollten sie hingegen nur sehen in der ihnen übertragenen besonderen Gabe und Aufgabe ihres überörtlichen Dienstes, aus ihrer daraus resultierenden Verantwortlichkeit für alle Versammlungen und aus ihrer geistlich begründeten Sorge um sie. Daraus kann sogar eine Verpflichtung zur evtl. nötigen Einsprache abgeleitet werden. Direkte apostolische Vollmacht ist nicht wiederholbar.

Belegstellen: Apg.20 und Apg.15.

Aus solchen Gründen vorgebrachte Einwände und Aussagen aber müssen ebenfalls Empfehlungen bleiben, da eine Vollzugsgewalt solchen Brüdern biblisch nicht zugesprochen werden kann, selbst, wenn sich ein ähnlicher Kreis von Brüdern ohne diese direkt beschriebenen Gaben von verschiedensten Versammlungen zu einem solchen Zweck delegiert haben sollte. Stellt in diesem Zusammenhang eine Versammlung vom äußeren Bild oder inneren Zustand her eine offensichtliche Gefahr dar durch z .B, falsche Lehre o. ä., so ist es denkbar, daß, sollten alle Ermahnungen fruchtleer bleiben, von einem oben beschriebenen Brüderkreis öffentliche Warnungen ausgesprochen werden. Derartige Warnungen sollten sich aber nur auf die falsch lehrenden Brüder, nicht auf die Versammlungen selbst beziehen. Niemals, um das noch einmal zu betonen, könnte, wie in exclusiven Kreisen angenommen und gelehrt wird, eine Verunreinigung des einzelnen und dann auch der Versammlung durch den Kontakt mit Geschwistern dieser Versammlung entstehen. Vorgenannte öffentliche Warnungen sind denkbar, sicher auch manches Mal von praktischer Bedeutsamkeit aber nicht schriftgebundene und -belegte Anweisung, wie sie für den einzelnen existiert.

4. Was ist, wenn eine Versammlung das Urteil einer anderen prüft und nicht anerkennt?

Eigentlich ergibt sich die Antwort schon aus der Anwendung des grundsätzlich Gesagten. Natürlich sind alle Versammlungen eins, da sie zu dem einen Leib gehören und von dem einen Geist geleitet werden. Eph.4,3. Alle sind aber letztlich von der Verantwortlichkeit her gesehen unabhängig voneinander. Sie stehen den Bildern aus Offb. 1, 2 u. 3 folgend jede für sich als freie Leuchter da. Jede ist nur dem Haupt verantwortlich. Es gibt keine Andeutung, daß eine Versammlung die andere beaufsichtigen soll. Verbunden sind sie nie durch organisatorische Maßnahmen, sondern ausschließlich durch eine durch den Geist gewirkte, in der Liebe begründete innige Gemeinschaft. Apg.15,36 / Römer 15, 7; 1.Kor.12 / Römer 12

Deshalb findet sich grundlegend auch immer gegenseitige Achtung und Anerkennung der Beschlüsse. Aber aus der Eigenverantwortlichkeit vor dem Herrn resultiert auch die Notwendigkeit der Prüfung an der Schrift, was diese Beschlüsse angeht.

Kollektive Verantwortlichkeit; ein Thema, was biblisch nicht vertretbar erscheint. Was damit gemeint war und ist, haben wir gesehen. Was bleibt das Ziel unserer Arbeit als einzelne? Ausrichtungsanstöße zu geben, die den einzelnen wie den Versammlungen gelten. Im Verwirklichen solcher auf den Herrn bezogener Impulse entsteht von ihm gegebene, durch seinen Geist gewirkte Homogenität, in der die Probleme unseres Themas keine offenen Fragen mehr biIden. Bewußt sind wir uns dabei, daß eine völIige praktische Realisierung des biblisch vorgezeichneten Bildes der Versammlung hier auf der Erde nicht erreichbar bleibt. Daß aber die größtmögliche Klarheit erzielt wird, ist bestehende Verantwortung. Um der nachzukommen, ist Weisheit von oben und dienende Demut notwendig. Wollen wir um sie bitten!