Im Anfang war das Wort

Hartmut Ising

Das Johannesevangelium beginnt mit den Worten: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott ... Alles wurde durch dasselbe. "

Es ist interessant, über den Bedeutungsinhalt des Begriffs "Wort" nachzudenken. Für Computerfachleute ist "Wort" ein Informationsbaustein. Im allgemeinen Sprachgebrauch können wir auch Idee, Gedanke oder ähnliches setzen. Die Bibel sagt uns also, dass am Anfang Gottes Wort – Gedanke – Idee – Information existierte und dadurch alles geschaffen wurde.

Diese Aussage ist sehr einleuchtend. Auch bei schöpferischen Leistungen des Menschen steht die Idee am Anfang. Denken wir z.B. an die Musik. Ein Komponist beschäftigt sich in Gedanken mit einer kurzen Melodie, einem Thema. Bevor irgendein anderer Mensch etwas davon weiß oder gehört hat, beschäftigt sich der Künstler gedanklich mit diesem Anfang eines neuen Werkes. Dann setzt er sich ans Klavier und spielt dieses Thema zum ersten Mal. Ist ein Zuhörer im Raum, so übermitteln die Schallwellen diesem die Idee des Komponisten. Anschließend schreibt er sein Thema auf oder er macht eine Tonaufnahme. Den Anfang bildete aber die Idee des Komponisten. Sie war in der ursprünglichen Form für keinen anderen Menschen wahrnehmbar. Erst die Übertragung dieser Ur-Information auf Informationsträger (akustische Wellen, Tonträger, Schrift u.a.) macht es möglich, anderen Menschen Informationen weiterzugeben.

Ganz entsprechend stand am Anfang der Schöpfung dieses Universums die göttliche Ur-Information, die Idee, der Plan des Schöpfers. Diese Information ist mit Gott wesensgleich – und das Wort war Gott – dadurch wurde alles: Zeit, Raum, Materie, Leben und Licht. Gott hat sein unsichtbares Wesen – Gott ist Geist (Joh.4,24) – seine ewige Kraft und Göttlichkeit in der Schöpfung wahrnehmbar gemacht (Rm.1,20).

Gottes souveräner Wille ist die tiefste Ursache aller Schöpfung. Deswegen preisen ihn die vierundzwanzig Ältesten mit den Worten: „Du bist würdig, unser Herr und Gott, die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht zu nehmen, denn du hast alle Dinge erschaffen, und deines Willens wegen waren sie und sind sie erschaffen worden" (Off. 4,11).

Dieser schöpferische Gotteswille wird im Sohn ausgeführt: Der Plan der gesamten Schöpfung ist im Sohn gegenwärtig; er ist er der Architekt der Schöpfung. Alles wurde aber auch durch ihn geschaffen, was uns den Sohn Gottes als Baumeister der sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung offenbart. Als drittes ist alles für ihn geschaffen. So ist er Architekt, Baumeister und Bauherr der sichtbaren und der unsichtbaren Welt: „Denn in ihm ist alles in den Himmeln und auf der Erde geschaffen worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Gewalten oder Mächte: alles ist durch ihn und für ihn geschaffen" (Kol.1,16).

So ist er in Vollkommenheit die Ausstrahlung der Schöpferherrlichkeit Gottes (Heb.1,3). Aber sein Wesen ist noch umfassender: „In ihm war Leben, und das Leben das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst" (V.4-5).

Um seinen Geschöpfen ewiges Licht und Leben zu bringen, legte er all diese Herrlichkeit ab und stieg aus Gottes Welt hinab in Raum und Zeit, in seine Schöpfung, die inzwischen zum Machtbereich der Finsternis geworden ist. So kommt er zu einer der Billionen von Galaxien mit dem Namen "Milchstraße" und sucht sich dort den winzigen Planeten Erde als Ziel, den er in seiner Weisheit als Lebensraum für seine Geschöpfe, die seine Freude und Wonne waren (Spr.8,31) meisterlich ausbalanciert hatte. Seine Meisterhand hatte gerade auf diesem Planeten zwischen Eis- und Hitze-Tod die optimalen Bedingungen für das physische Leben ermöglicht. Auf dieses liebevoll temperierte Staubkorn unter den vor Hitzeenergie überquellenden Sonnen führte ihn der Wille des Vaters, um uns die wunderbarste Seite des göttlichen Wesens, seine Liebe zu seinen Geschöpfen, zu offenbaren: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns" (V.14a).

Dies ist das wunderbarste Reden Gottes zu den Menschen. Das Leben und Sterben des Gottessohnes verkündet uns in unvergleichlich eindrücklicher Weise die Liebe Gottes: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe" (Joh.3,16).

Der ewige Gott ist vom Wesen her Liebe; deshalb hat er eine Möglichkeit gesucht und gefunden, sich seinen Geschöpfen, die ihn nicht direkt sehen können, auf andere Weise kundzumachen. So wählte er die für uns optimal fassbare Form der Informationsübertragung und ließ seine Liebesbotschaft in Gestalt seines geliebten Sohnes Mensch werden. Deshalb sagt Jesus Christus zu seinen Jüngern: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh.14,9). Rückblickend auf diese wunderbare Begegnung mit dem Wesen des Vaters schreibt Johannes: „Wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit" (V.14b).

Abschließend wollen wir überlegen, welche Bedeutung hinter den Begriffen "Sohn", "einzigartig Geborener" u.a. steht. C.S. Lewis vergleicht zur Veranschaulichung das Werk eines Künstlers mit dem Sohn des Künstlers. Das Kunstwerk drückt zwar die Gedanken des Künstlers aus, hat aber kein Leben in sich. Menschliches Leben kann nur von Menschen und zwar durch Zeugung und Geburt weitergegeben werden. Gott dagegen vermag seinen Geschöpfen physisches Leben zu geben. Dieses Leben ist aber von anderer Qualität als das Wesen und Leben des "einzigartig geborenen Sohnes". So wie wir mit den Worten "Kind" oder "Sohn" zum Ausdruck bringen, dass es sich um ein Wesen mit derselben zeitlichen Qualität des Lebens handelt wie dem der Eltern, so beinhaltet der Begriff "einzigartig geborener Sohn (Gottes)", dass dieser dieselbe Qualität des Lebens besitzt wie der Vater: Ewiges Leben ohne Anfang und ohne Ende. Dieses ewige Leben ohne Anfang wird auch durch die Worte zu Ausdruck gebracht "der in des Vater Schoß ist“ (V. 18). Die Gegenwartsform bringt zum Ausdruck, dass der Sohn von Ewigkeit zu Ewigkeit im Schoß des Vaters ist.

Im Gegensatz zu diesem "zweiseitig" ewigen Leben des einzigartig geborenen Sohnes hat das ewige Leben, das Menschen versprochen wird, die den Sohn aufnehmen und an ihn glauben, (V.13) einen Anfang. Sie bekommen aufgrund ihres Glaubens das Recht "Gottes Kinder zu werden".

Als geometrische Veranschaulichung des zweiseitig ewigen Lebens Gottes kann die Gerade dienen, die weder Anfang noch Ende hat. Das einseitig ewige Leben gleicht einem Strahl, der zwar einen Anfang aber kein Ende hat. Das zeitliche, physische Leben gleicht in diesem Bild einer Strecke mit Anfang und Ende.

Auch dieses "einseitig" ewige Leben ist aus Gott geboren und nicht geschaffen wie in 1.Mose 1,27 – und es ist nicht von Menschen gezeugt und geboren, denn: „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist" (Joh.3,6).

Damit kommt der allmächtige Gott, dessen Wesen Liebe ist, zum Ziel mit seinen Geschöpfen, die an seinem Sohn glauben. Von dem Moment der von Gott gewirkten Wiedergeburt an bis in Ewigkeit ist ihr Gott und Vater mit ihnen in inniger Gemeinschaft.

Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen! Und wir sind es, ...denn wir werden ihn sehen, wie er ist" (1.Joh.3,1 und 2b).

„Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein" (Off. 21,3).

(2020-03)