Hat Gott in meiner Weltanschauung Platz?

Hartmut Ising

Eine dumme Frage - oder? Schließlich habe ich ein "wissenschaftliches Weltbild", jedenfalls habe ich das so in der Schule und beim Studium gelernt. In der Theorie war ich mir viele Jahre lang sicher, daß es keines Schöpfers für das Universum bedarf. Für alle Erscheinungen gibt es ganz natürliche, logische Erklärungen, und an der Beantwortung der ungelösten Probleme arbeitet die Wissenschaft eben noch. Was mir heute vielleicht noch als Wunder erscheint, ist morgen ganz normal.


Weltbild, Sinneswahrnehmung und Erkenntnis

Mein Weltbild ist im engeren Sinn meine eigene Vorstellung von meiner Umwelt, wie ich sie mit meinen Sinnen erfahren habe. Im weitesten Sinn sind es meine gespeicherten Vorstellungen von allem, was meine Sinne aufnehmen und was meine Gedanken beschäftigt. All das ist nur die Reflektion eines kleinen Teiles der sichtbaren Lebensumwelt.

Viele denken darüber etwa so:

Wie soll im verkleinerten Abbild aus konkreten Erfahrungen ein unendliches, unsichtbares Abstraktum Platz finden? Eigentlich bin ich mit meiner endlichen und beschränkten Weltanschauung zufrieden. Außerirdische Phänomene gehören ins Reich der Utopien und Phantasie. Darüber sollen sich andere Gedanken machen. Laßt mich mit diesem idealistischen, religiösen Quatsch in Ruhe!

Gegen ein solchermaßen abgeschlossenes Weltbild scheinen mir Zweifel angebracht, zumal jede konkrete Weltanschauung in Bewegung ist. Unser Weltbild wird ständig verändert. Wir sprechen von einem eigenen Horizont, der sich verengt oder auch erweitert. Zum Hinausschieben unserer Erkenntnisgrenzen gibt es sehr viele Angebote der Aus- und Weiterbildung, Berge von Büchern, Fernsehen etc. Sie reichen bis zu Trainingskursen, die Bewußtseinserweiterung durch transzedentale Meditation oder occulte Erfahrungen versprechen. Viele miteinander konkurriende Faktoren beeinflussen oder dominieren sogar unser Weltbild.

Zuerst möchte ich den Bereich scheinbar unabänderlicher Einflußgrößen hervorheben, wie z.B. die soziale, regionale, ethnische, politische und familiäre Herkunft. Es ergibt beachtliche Unterschiede im Weltbild, ob ich auf dem Lande oder in der Stadt, im Gebirge oder an der Küste, unter Reichen und Mächtigen oder unter Armen und Außenseitern der Gesellschaft, unter Christen oder Atheisten aufwachse. Meine Weltanschauung ist wesentlich vom Kulturkreis geprägt, in den ich hineingeboren bin. Ist er vom Islam, vom Christentum, dem Buddismus dem Judemtum oder von vielgestaltigen animistischen Naturreligionen beieinflußt? Welche konkrete Lebens- und Arbeitsumwelt umgibt mich? Welcher Rythmus von Arbeit und Freizeit bestimmt meinen Alltag? Welche Traditionen bestimmen meinen Tagesablauf, die Feier- und Festtage und die Beziehungen zwischen den Generationen und den Geschlechtern? Genetiche und medizinische Faktoren meiner psychisch- sozialen Verfassung im jeweiligen Lebensalter und vieles andere spielen eine wichtige Rolle.

Neben diesem Komplex vorgegebener Konstanten bleibt die Frage der individuellen Entscheidung in einer endlichen Lebenzeit. Die Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit einer Person wird auch von bewußter persönlicher Willensentscheidung mitbestimmt. Nur um diesen "selbstbestimmten" Bereich der Welttanschauung soll es im folgenden gehen.

Da ich nur eine endliche Zeit zur Verfügung habe, wähle ich aus der Flut der Informationen das aus, was ich aufnehmen will, und das prägt mein Weltbild, meine Erfahrung, mein Denken, und mich selbst. Damit wird klar, daß ich selbst eine wesentliche Verantwortung dafür trage, wie mein Weltbild weiter entwickelt wird.


Mein inneres Bild der äußeren Umwelt

Ich möchte nun gerne wissen, wie das Bild meiner physischen Umwelt zustande kommt. Das optische Abbild meiner Umgebung auf meiner Netzhaut steht auf dem Kopf. Ich habe aber schon als kleines Kind durch tasten "begriffen", daß dieser optische Eindruck korrigiert werden muß. Diese Korrektur vollzieht seitdem mein Gehirn automatisch. Wenn ich mir jetzt eine optische Umkehrbrille aufsetze, so erscheint mir wieder die Umwelt auf dem Kopf, obwohl nun das Bild auf der Netzhaut aufrecht steht. Behalte ich diese Umkehrbrille länger als eine Woche auf der Nase, so wird mein Gehirn - vereinfacht vergleichbar mit einem Computer - umprogrammiert, und ich sehe plötzlich alles wieder normal, bis ich die Umkehrbrille absetze und mein Gehirn erneut umprogrammiert werden muß. Es gibt noch viele Beispiele für folgende grundlegend wichtige Tatsache:

Wir nehmen prinzipiell nicht direkt das wahr, was unsere Augen und Ohren von der Umwelt aufnehmen, sondern alle Sinneseindrücke werden von unserem Gehirn bearbeitet, bewertet, gefiltert und zu einem einheitlichen "Bild" verschmolzen.

Das gilt sowohl für die optischen Bilder als auch für die "Klangbilder", die aus den Einzelsignalen beider Ohren im Gehirn synthetisiert werden.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten bei einem Unfall eine Kopfverletzung erlitten, durch die ein Innenohr zerstört wurde. Sie sind also einseitig taub. Wie würde sich das auf Ihr Leben auswirken? Es ist klar, daß Sie z.B. beim Telefonieren kaum eine Einschränkung erleben. Wenn Sie sich aber in einer Gesellschaft mit ihrem Tischnachbarn unterhalten wollen, verstehen Sie kein Wort. Das allgemeine Stimmengewirr kann von unserem Gehirn nur bei intaktem Richtungshören geordnet werden, und dazu sind die etwas unterschiedlichen Schallsignale an beiden Ohren Voraussetzung. Die einohrige Taubheit bringt also schwerwiegende Einschränkungen für das soziale Leben mit sich. Sie gehen deshalb zu einem Ohrenarzt und lassen sich ein spezielles Hörgerät verschreiben. Dieses Gerät besteht aus einem Mikrofon, das in den Ohrkanal des tauben Ohres eingesetzt wird. Das verstärkte Schallsignal wird mittels Knochenschall zu dem gesunden Innenohr geleitet. Sie legen das Hörgerät an und telefonieren. - Wunderbar, Sie verstehen auch, wenn Sie den Hörer an das taube Ohr halten. Nun gehen Sie zu Ihren Freunden und wollen das Gerät in Gesellschaft ausprobieren. Aber schon auf der Straße macht Sie der ungewohnte Klangeindruck ganz wirr. Das steigert sich bis zur Unerträglichkeit, als sie die Wohnung der Freunde betreten. Sie schalten entmutigt das Gerät aus und können nun wenigtens verstehen, wenn jemand direkt in Ihr gesundes Ohr spricht. Aber diese Anfangsschwierigkeiten hatte der Ohrenarzt ja bereits angekündigt. Sie schalten also das Gerät wieder ein und zwingen sich, das wüste Klanggewirr zu ertragen. So trainieren Sie gut eine Woche lang ohne Änderung, aber dann kommt ganz überraschend schnell die Wendung. Ihr Gehirn hat gelernt, die Schallsignale beider Ohren richtig zu analysieren, obwohl sie jetzt über einen einzigen Hörnerv zum Gehirn übertragen werden. Sie erleben die fantastische Selektionsfähigkeit Ihres Gehörs völlig neu. Obwohl der ganze Raum von einem Stimmengewirr erfüllt ist, können Sie sich auf die Stimme des netten Herren konzentrieren, der Ihnen gegenüber sitzt. Seine Stimme ist zwar nicht lauter als die vielen anderen Stimmen, trotzdem filtert ihr Gehirn diese eine so phantastisch heraus, daß Sie jedes Wort verstehen können, - fast so gut wie vor Ihrem Unfall.

Vielleicht denkt jetzt mancher Leser: `Na schön, ist ja alles sehr interressant - aber was könnte das mit meinem Weltbild zu tun haben?` Diesen Leser möchte ich um Geduld bitten; wenn wir verstehen, nach welchen Prinzipien unser Wahrnehmen, und allgemein unser Denken funktioniert, lernen wir vielleicht andere Menschen zu verstehen, deren Weltbild nicht mit unserem übereinstimmt.


Doppelbilder

Nun möchte ich noch einmal zu unserem Auge und dem Erkennen eines Bildes zurückkehren. Bei den sogenannten Doppelbildern erkenne ich zuerst eine der beiden Darstellungen. Bei längerer Betrachtung, auch aus verschiedenen Richtungen springt die Wahrnehmung plötzlich um, und ich erkenne die andere Darstellung. Daraus folgen einige Schlüsse über den Vorgang des inhaltlichen Erkennens: Auf unserer Netzhaut wird unabhängig von dem erkannten Bild immer dasselbe Schwarz-Weiß-Muster abgebildet. Diese Information wird über den Sehnerv dem Gehirn zugeleitet und dort analysiert. Das Ziel dieser Analyse besteht darin, ein einheitliches, sinnvolles Bild zu erkennen, das mit einem Bild in unserem Gedächtnis Ähnlichkeit hat. Ich erkenne z.B. das Gesicht einer alten Frau mit Kopftuch. Dabei werden die verschiedenen Muster so gedeutet, daß sie mit diesem Gesamtbild zusammenpassen.



Abb. 1 Doppelbild „Frau und Schwiegermutter" (nach Boring)


Wenn nun die Wahrnehmung plötzlich umspringt und ich das Halbprofil einer jungen Frau erkenne, werden dieselben Schwarz-Weiß-Muster anders gedeutet. Bei diesem Vorgang ist besonders wichtig, dass nun andere Teile des Musters für das Erkennen wesentlicher sind als vorher. Dieser ganze Vorgang der Muster-Bewertung und Erkennung läuft normalerweise unbewusst und ohne Willensentscheidung ab. Wenn daher zwei Betrachter in ihrem "Weltbild" - ihrer Erfahrung - nur jeweils die eine oder die andere der beiden Darstellungen des Doppelbildes gespeichert haben und ihre Wahrnehmungen beschreiben, so stimmen diese nicht überein. Ihr jeweiliges Erkennen bzw. ihre "Erkenntnis" wird offensichtlich nicht nur von dem objektiv vorliegenden Schwarz-Weiß-Muster sondern auch entscheidend von ihrer Erfahrung, ihrem "Weltbild" bestimmt, das jeweils nur eine Darstellung des Doppelbildes enthält. Unsere optische und akustische Wahrnehmung beruht also ganz wesentlich auf dem Erkennen von Ähnlichkeiten unserer Sinneswahrnehmungen mit den im Gedächtnis gespeicherten Bildern oder Informationen.


Das rationalistische und das realistische Weltbild

Die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen im Gehirn ist vor allem auf ein ganzheitliches Erkennen ausgerichtet. Entsprechend sind auch unsere Denkprozesse auf ein ganzheitliches Erkennen und Verstehen ausgerichtet. Jeder von uns weiß aus Erfahrung, daß es viel leichter ist, Gedankengängen zu folgen, deren Grundlage uns langjährig bekannt sind als völlig neuartige Gedanken zu verstehen und anzunehmen. Deshalb ist es ein normales Ergebnis unserer Denkprozesse, daß einem Menschen mit vermeintlich wissenschaftlichem Weltbild die Vorstellung von übernatürlichen Vorgängen oder von Gott als undenkbar und damit unmöglich erscheint. Deshalb wollen wir ein anderes Kriterium suchen, um die Richtigkeit dieses Vernunft- und Logik-bestimmten Weltbildes zu überprüfen.

Wir wollen dazu ein Beispiel betrachten, das unserer rationalistischen Logik zwar als Unmöglichkeit erscheint, trotzdem aber physikalische Realität ist: Die Dualität des Lichts. Wird Laserlicht in zwei gleiche Teilstrahlen aufgespalten, so löschen sich diese bei Gegenphasigkeit aus, bei Gleichphasigkeit dagegen addieren sich ihre Intensitäten. Dieses Interferenzphänomen können wir mit Hilfe der Wellennatur des Lichts erklären und verstehen. Das Licht hat aber auch eine Teilchennatur. Bei sehr schwacher Intensität kann man das Auftreffen einzelner Photonen mit einem Photomultiplier nachweisen. Die beiden Naturen des Lichts stellen für unsere Logik unvereinbare Gegensätze dar, denn zwei Hälften von Teilchenströmen (Laserteilstrahlen) können unter keinen denkbaren Umständen durch Überlagerung zu Null werden. Die Dualität der Lichtnatur zeigt also, daß die rationalistsiche Logik nicht ausreicht, um die Natur zu begreifen. Ist es deshalb nicht sinnvoll, auch die - zumindest für die rationalistische Logik - Undenkbarkeit Gottes infrage zu stellen?

Im realistischen Weltbild vieler Naturwissenschaftler ist Platz für die Natur, für Gott als deren Schöpfer und Lenker und für sein Eingreifen in unsere Welt - also für Wunder.

Für Realisten gibt es übrigens auch in unserer Zeit Wunder. Nach dem Krieg im Jahr 1948 sagte Israels Präsident Ben Gurion: "Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist". Wer sich die militärischen Kräfteverhältnisse in diesem Krieg vergegenwärtigt, wird diesen Ausspruch verstehen.

Wenn nun ein langjähriger Verstandesmensch in seinem Denken keinen Platz für Gott und sein Wirken hat, so ist das kein Beweis für die Nichtexistenz Gottes, sondern lediglich eine Folge seines derzeitigen Denkmusters. Wer also z.Zt. nicht an Gottes Existenz glauben kann, sollte das nicht für endgültig betrachten, denn Denkmuster sind veränderlich, wie wir uns ja bereits in der Einleitung verdeutlicht hatten.

Wer z.B. die Bibel kennen lernen möchte und deshalb eins der Evangelien zu lesen beginnt, sollte nicht entmutigt sein, wenn ihm anfangs vieles darin unverständlich oder unmöglich erscheint. So, wie in dem erwähnten Beispiel erst längere Zeit und Bemühungen notwendig waren, um das ungewohnte Klangbild des Hörgerätes richtig zu interpretieren, ist es auch mit dem Verständnis für geistliche Dimensionen. Man sollte deshalb auch beim Bibellesen Geduld und Ausdauer aufbringen.

Und zum Schluß noch ein wichtiger Tipp: Wenn ein Mensch den allmächtigen Gott kennenlernen möchte, so ist dafür eine bescheidene Haltung unbedingt notwendig. Diese könnte sich z.B. in einer Bitte um Einsicht in die bisher verborgenen Dimensionen ausdrücken. Wer auf diese Weise Gott sucht, kann die Erfahrung machen, daß nach einiger Zeit mehr Platz in der eigenen Weltanschauung ist, als anfangs für möglich gehalten.