Gottes Plan mit Israel

Hartmut Ising

Teil 1: Theologischer Antisemitismus

Gottes besonderer Heilsplan mit Israel wird in Rm.11, 25-29 mit den Worten beschrieben: "Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst für klug haltet: Verstockung ist Israel zum Teil widerfahren, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird; und so wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: 'es wird aus Zion der Erretter kommen, er wird die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden und dies ist für sie der Bund von mir, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde. Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar Feinde, um euretwillen, hinsichtlich der Auswahl aber Geliebte, um der Väter willen. Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar."

Ich frage nun: Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? (Rm.11,1a). Diese Frage beantwortete ein katholischer Theologieprofessor bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Katholikentages 1958 in Berlin mit Rm.11,29: die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar  und brachte damit zum Ausdruck, dass Gott sein Volk Israel niemals verworfen und durch die Kirche ersetzt habe (Ersatz- oder Replacement-Theologie). Nach dieser kurzen und klaren Aussage des katholischen Theologen stand sein jüdischer Kollege, Pichas Lapide, auf und umarmte ihn. 

Bis Ende des 18. Jahrhunderts kam fast niemand auf die Idee, dass Israel in Gottes Heilsplan eine von der christlichen Gemeinde unabhängige Rolle spielen könnte. Als Beispiel sei ein Werk von Henry Finch genannt: “Die große Wiederherstellung der Welt” – Untertitel: “Die Berufung der Juden”. Dieses Buch wurde 1621 in London veröffentlicht. Finch war ein ausgezeichneter Kenner der hebräischen Sprache. Aufgrund seiner Bibelstudien sagte er die Gründung eines jüdischen Weltreiches mit Jerusalem als Hauptstadt voraus. Er ging dabei entsprechend dem allgemeinen Verständnis seiner Zeit davon aus, dass sich vorher die Juden zum christlichen Glauben bekehren würden. Die Vorstellung, dass sich auch der englische König der Vorherrschaft der Juden beugen sollte, ärgerte König Jakob I. so heftig, dass er Finch ins Gefängnis werfen ließ, bis dieser den Anstoß erregenden Teile seines Buches widerrufen hatte.

Für unser Thema der geschichtlichen Entwicklung des Verständnisses der Prophetie in der Christenheit ist es wichtig, dass viele Jahrhunderte lang jegliche heilsgeschichtliche Bedeutung Israels außerhalb des Christentums als undenkbar erschien. 

Dieses Unverständnis für Israels Bedeutung in Gottes Heilsplan geht auf die Kirchenväter des 3. und 4. Jahrhunderts zurück und wurde seit Augustin allgemein gelehrt und geglaubt. Nach dieser Lehre sind Gottes Verheißungen für Israel auf Grund der Verwerfung des Messias vollständig und endgültig auf die Gemeinde übergegangen. Seit dieser Zeit wurden alle prophetischen Worte über Israels zukünftige Rolle in Gottes Heilsplan auf das "geistliche Israel", die Gemeinde oder "die Versammlung aus den Nationen" gedeutet. Mit dieser Lehre erlosch der prophetische Blick für ein wiedererstehendes Israel. 

W. Kelly gibt hierzu folgenden Kommentar: “Die Kirchenväter erfanden das miserable System, das Israel und Juda aus der Prophetie des Alten Testaments verdrängte: Sie sahen in allem die Kirche. Ihre gelehrten Abhandlungen über den Antichristen und die große Trübsal sind daher wertlos…Beide (katholische und protestantische Theologen) judaisierten die Gemeinde, indem sie Israels wahre Hoffnung ausradierten (Bible Treasury, Vol.16, p.1542).

Mit dieser Lehre tastete aber die Christenheit nicht nur die Lebensgrundlage Israels an, sondern wurde selbst blind für das prophetische Wort in dem Sinne von Sach. 2,8:"...denn wer euch antastet, tastet seinen Augapfel an." Mit diesem Wort kann nicht nur Israel als Gottes Augapfel sondern auch der eigene Augapfel gemeint sein, was dann bedeutet, dass man selbst blind wird. 

Die Auswirkung dieser als „Replacement-Theologie“ bezeichneten Lehre war für die Hoffnung in der Christenheit verheerend. Die lebendige und freudige Hoffnung der ersten Gemeinde wurde begraben unter Schutt und Trümmern, die diese falsche Lehre verursacht hatte. Das Nicänische Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 325 ist ein Zeugnis davon, dass zu dieser Zeit die freudige Hoffnung auf den wiederkommenden Herrn verloren gegangen war. Das Nicänische Glaubensbekenntnis enthält nicht einmal die Hoffnung auf die Auferstehung.

Trotz alledem lebten Einzelne in freudiger Hoffnung auf den Herrn. Diese Hoffnung bringt z.B. Rube (1665-1746) in seinem Lied, "Der Herr bricht ein um Mitternacht", mit den Worten zum Ausdruck: "Blick täglich auf Sein Kommen hin, als ob es heute wär". 

Allerdings bedeutet das nicht, dass diese Gläubigen auch die heilsgeschichtliche Zukunft Israels richtig erkannt hätten. So war auch für Matthew Henry im 18. Jahrhundert eine von der Gemeinde unabhängige Zukunft Israels nicht denkbar. In seinem bekannten und ansonsten sehr guten “Kommentar zur ganzen Bibel” schreibt er zu Römer 11, 26: “... Nicht dass jemals ihr spezieller Bund wiederhergestellt würde und sie wieder ihr Priestertum, Tempel und Zeremonien wiederbekämen (all das ist beendet); aber sie sollen zum Glauben an Christus, den wahren Messias, gebracht werden, den sie gekreuzigt haben, und in die Christliche Kirche eingefügt werden...” (Commentary on the Whole Bible, ISBN: 0-943575-51-6, p 365).

Es gab aber auch damals Gläubige, die Gottes Wege mit Israel erkannten. Als Friedrich der Große im Siebenjährigen Krieg (1756-63) sehr niedergeschlagen war, versuchte sein gläubiger General von Ziehten, ihn mit einem Hinweis auf Gott zu trösten. Der König erwiderte: „Beweise er mir die Existenz Gottes – mit einem Wort!“ Ziethen antwortete: „Israel“, und fügte die Anrede „Sire“ hinzu (Quelle: www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/preussenjahr2001.htm).

Im 19. Jahrhundert begann sich die Blickrichtung grundsätzlich zu ändern. Ein Jesuit namens Manuel de Lacunza schrieb unter dem Namen Juan Josaphat Ben Ezra ein aufrüttelndes Buch: "Das Kommen des Messias in Macht und Herrlichkeit". Er untersuchte u.a. die Frage, ob das tausendjährige Friedensreich tatsächlich schon begonnen habe, wie es die katholische Kirche seit dem 4. Jahrhundert lehrte. Aus der Schrift wies er jedoch nach, dass der Messias vor dem Beginn des tausendjährigen Reiches in Macht und Herrlichkeit wiederkommen müsse und dass Israel eine von der Gemeinde unabhängige heilsgeschichtliche Zukunft habe. 1812 wurde sein Buch in spanischer Sprache veröffentlicht und danach von Edward Irving ins Englische übersetzt und veröffentlicht, (L.B. Seeley and Son, London 1827). 

Dieses Buch wurde bei den Albury Park Konferenzen über Prophetie (1826-1830) auch Darby und seinen Freunden bekannt. Sie prüften Lacunzas Gedanken über das Kommen des Messias vor dem tausendjährigen Reich sowie Israels heilsgeschichtliche Zukunft an der Schrift und fanden beides bestätigt. Die Konsequenz dieser Entdeckung war klar: Da die Theologen seit Augustin, Israel und die Gemeinde in der Prophetie nicht unterschieden hatten, basierten ihre Auslegungen der Prophetie auf einem Irrtum. Daher musste das Verständnis der Prophetie vollständig neu erarbeitet werden. Dieser Aufgabe widmeten sich J.N. Darby und seine Brüder mit Energie und dem Erfolg, dass in den jungen Kreisen der Erweckungsbewegung die Freude über die wieder erlangte lebendige Hoffnung aufblühte. Hiervon zeugen viele Lieder aus dem vorigen Jahrhundert.

Der „Amillennialismus“ hat seine Wurzeln in der falschen Grundannahme, dass Israel keine heilsgeschichtliche Zukunft habe. Nach dieser Lehre hat das 1000-jährige Friedensreich bereits mit der Geburt von Jesus Christus begonnen. Daher sei kein zukünftiges Friedensreich zu erwarten. In den USA ist diese Lehre unter evangelikalen Christen weit verbreitet. Bei dem internationalen Kongress für Weltevangelisation 1974 in Lausanne kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Christen mit amillennialistischer bzw. postmillennialistischer Sicht der Prophetie. Billy Graham bemühte sich, diesen Konflikt zu entschärfen, indem er die beiden Sichten als biblisch fundiert bezeichnete. Er bezeichnete die beiden Sichten als apokalyptisch optimistisch bzw. pessimistisch.

Wenn Theologen heute die Ansicht vertreten, dass Mt.24 ein Abriss der prophetischen Ereignisse der christlichen Gemeinde sei, so ist das ein Relikt aus der falschen Lehre von Israels endgültiger Verwerfung. Wer dagegen diese Lehre als Irrtum erkannt hat, sollte auch konsequent alle daraus folgenden falschen Schlüsse verwerfen. Das hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, sondern ist eine logisch zwingende Konsequenz. 

Wir sollten heute über die prophetischen Schriften unter Berücksichtigung der jetzigen Weltlage neu nachdenken, gemäß dem Wort an Daniel, Dan.12,4 Du aber, Daniel, verbirg diese Worte und versiegle das Buch bis auf die Zeit des Endes! Dann werden viele darin forschen, und das Verständnis wird zunehmen.

Bei konsequentem Studium der Prophetie mit dem Ziel, die prophetischen Worte für Israel von der Prophetie für die Gemeinde zu unterscheiden, werden wir heute an einigen Stellen zu anderen Schlüssen kommen als die Brüder vor 150 Jahren. Bei diesem neuen Studium der Prophetie wollen wir gemäß dem Wort des Apostel Paulus (1.Thess.5,21) „Prüfet aber alles. Das Gute behaltet,“ von den Arbeiten früherer Generationen zur Prophetie das Gute behalten und abweichende Ansichten biblisch begründen.

Im Folgenden wollen wir die Endzeitrede unseres Herrn Jesus Christus in Mt.24-25 betrachten. Viele Ausleger beziehen Teile davon auf Israel und andere Teile auf die Gemeinde. Ich möchte Argumente für die Sicht liefern, dass sich die prophetische Bedeutung dieser beiden Kapitel allein auf Israel bezieht.

Gottes Plan mit Israel in Matthäus 24-25 

Unser Herr Jesus Christus beantwortet in seiner Rede auf dem Ölberg die Fragen seiner Jünger nach zukünftigen Ereignissen. Im Matthäus-Evangelium geht er auf die Fragen ein: Was wird das Zeichen deiner Wiederkunft und des Endes der Weltzeit sein? Die Antwort auf die Frage der Jünger nach Vorzeichen für die Zerstörung des Tempels finden wir in Lk.21.

In Mt.24 beschreibt unser Herr die Zukunft Israels einschließlich der furchtbaren Drangsal, die über Israel und alle an den wahren Gott glaubenden Menschen kommen wird, wenn der letzte falsche Messias seine Macht entfaltet. Jesus Christus zitiert in Mt.24,15-16 aus dem Buch Daniel: Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung, von dem durch den Propheten Daniel geredet wurde, an heiliger Stätte stehen seht (wer es liest, der achte darauf!), dann fliehe auf die Berge, wer in Judäa ist. 

Diese Drangsal wird 3 ½ Jahre dauern und die intensivste Drangsal aller Zeiten sein. Danach wird der Menschensohn Jesus Christus mit Macht und Herrlichkeit wieder auf die Erde kommen, die Heere der Welt vernichten, die Jerusalem unter ihre Kontrolle bringen wollen (Sach.12 und 14) und vor dem Beginn des messianischen Friedensreiches die lebenden Menschen aus den Nationen richten. Mt.25,31-32 Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen; und alle Nationen werden vor ihm versammelt werden, und er wird sie voneinander scheiden, so wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.

Das Gleichnis von den zehn Brautjungfrauen

Das Gleichnis von den zehn Brautjungfrauen wird von vielen zusammen mit dem Gleichnis von den anvertrauten Pfunden als Einschub betrachtet, der sich auf die Gemeinde bezieht. Wir wollen im Folgenden diese Gleichnisse unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten.

Für uns ist es verwunderlich, dass der Herr in einem Gleichnis von einer Hochzeit nur den Bräutigam und die 10 Brautjungfrauen erwähnt – nicht aber die Braut. Für die Jünger war dieser Umstand dagegen verständlich, denn sie kannten die zwei Phasen der orientalischen Hochzeit vor 2000 Jahren (vgl. Heri Daniel-Rops: Die Umwelt Jesu, dtv Sachbuch, 1980, ISBN 3-423-01597-7, S.126-127). 

Die erste Phase beschreibt Daniel-Rops folgendermaßen: „Am Abend vor dem großen Tag holte der Bräutigam in Begleitung seines Freundes die Verlobte aus dem Haus ihres Vaters...Die Braut wurde in einer Sänfte herbeigebracht...So gelangte sie zum Haus des Bräutigams...in das Zimmer, das man ihr bereitet hatte. Am nächsten Tag begann die zweite Phase der Hochzeit, die am Abend mit der feierlichen Zeremonie unter dem “chuppa”, einem Baldachin, und dem Hochzeitsmahl ihren Höhepunkt erreichte. Dabei war das Brautpaar von Brautjungfrauen umgeben.“ 

Von dieser zweiten Phase der Hochzeit spricht der Herr Jesus und sagt sinngemäß: Zu der in Mt.24 beschriebenen Zeit wird das Reich der Himmel zehn Jungfrauen gleichen, von denen nur fünf an dem Hochzeitsmahl teilnehmen werden. Die anderen fünf kannte der Bräutigam nicht und ließ sie nicht am Hochzeitsmahl teilnehmen. Sie wurden nicht verdammt wie der böse und faule Knecht (Mt.25,30). Ihre Strafe bestand lediglich im Ausschluss vom Hochzeitsmahl.

Aus dem Verständnis der alten orientalischen Hochzeit Jahren folgt: Die Braut ist zu der Zeit, wenn der Bräutigam zu den Braujungfrauen kommt (Mt.25,10) schon im Haus des Vaters des Bräutigams. Unser Herr versprach seinen Jüngern in Joh.14,2-3 In dem Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, hätte ich es euch gesagt; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen.

Die Hälfte des auf den Messias wartenden, treuen Überrestes von Israel hat leuchtende Lampen, d.h. ein Zeugnis für den kommenden König-Messias und darf nach Beendigung ihres Zeugnisses am Hochzeitsmahl des Lammes teilnehmen (vgl. meinen Artikel: Das Geheimnis der frohen Botschaft in den dunkelsten Tagen).

Die andere Hälfte ist zwar von der Teilnahme am Hochzeitsmahl ausgeschlossen aber nicht verdammt. Diese Menschen kommen erst zur Buße, nachdem sie ihren erwarteten König-Messias als den Gekreuzigten und Auferstandenen angeschaut und erkannt haben (Sach.12,10).

Teil 2: Gottes dreiteiliger Plan mit Israel

Die prophetische Bedeutung von Matthäus 25

Erstes Gleichnis: Die zehn Brautjungfrauen

Nach seinen Ausführungen in Kapitel 24 erklärt der Herr weitere Einzelheiten der Prophetie für Israel in Form von Gleichnissen und beginnt mit dem Wort „dann“:

Mt.25,1

Dann wird das Himmelreich zehn Jungfrauen gleich sein, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen.

Mit dem Wort „dann“ bringt unser Herr zum Ausdruck, dass sich die prophetische Bedeutung des Gleichnisses von den zehn Brautjungfrauen auf die in Kp.24 beschriebene Zeit bezieht, die Zeit seines Kommens in Majestät und Herrlichkeit.

Wer ist die Braut des Lammes?

Paulus benutzt das Bild des Tempelplatzes, auf dem eine Mauer den Unbeschnittenen den Zugang zum Heiligtum versperrte. Jesus Christus hat diese Mauer durch seinen Kreuzestod abgerissen und die Gläubigen aus den Nationen mit den Gläubigen aus Israel vereint. 

Eph.2,13-16

 Nun aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst ferne waret, nahe gebracht worden durch das Blut Christi. Denn er ist unser Friede, der aus beiden eins gemacht und des Zaunes Scheidewand abgebrochen hat, indem er in seinem Fleische die Feindschaft – das Gesetz der Gebote in Satzungen – abtat, um so die zwei in ihm selbst zu einem neuen Menschen zu schaffen und Frieden zu stiften, und um die beiden in einem Leibe durch das Kreuz mit Gott zu versöhnen, nachdem er durch dasselbe die Feindschaft getötet hatte.

Links: Grundriss des zweiten Tempels in Jerusalem. Rechts: An der Balustrade, die die Vorhöfe für Juden und Nationen trennte, standen Tafeln mit griechischer Aufschrift: Kein Andersbürtiger [darf] eintreten in das um das Heiligtum gehende Gitter und Gehege! Wer dabei ergriffen wird, wird sich selbst die Folge zuschreiben müssen, den Tod.

Als die Scheidewand abgerissen wurde, haben die Gläubigen von Israel nicht ihre Zugehörigkeit zu Israel verloren. Deshalb ist der „neue Mensch“ (V.15) aus Gottes Sicht Israel – die Vollzahl von Abrahams Glaubenskindern, die von neuem geboren sind (Joh.3,3). Diese Wahrheit wird auch in dem Bild des Ölbaums in Röm.11 zum Ausdruck gebracht.

Olivenbaum im Garten Gethsemane

Rm.11,16-18

Wenn die Wurzel heilig ist, so auch die Zweige. Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen worden sind, du aber, der du ein wilder Ölbaum warst, unter sie eingepfropft und der Wurzel [und] der Fettigkeit des Ölbaums teilhaftig geworden bist, so rühme dich nicht gegen die Zweige. Wenn du dich aber gegen sie rühmst – du trägst nicht die Wurzel, sondern die Wurzel dich.

Was bedeutet die Wurzel in V.18?. – Ich bin davon überzeugt, dass die Wurzel ein Bild des ewigen Bundes Gottes mit Abraham ist.

Gottes Verheißung an Israel: „Ich will dich mir verloben in Ewigkeit… (Hos.2,21-22) wurde im Rahmen der „Ersatz-Theologie“ als Prophetie für die christliche Kirche umgedeutet. Aber in Gal.6,16 lesen wir: Und so viele nach dieser Richtschnur wandeln werden – Friede über sie und Barmherzigkeit, und über den Israel Gottes! W. MacDonald erklärt dazu in seinem Kommentar zum Neuen Testament: »Und über das Israel Gottes!« Viele sind der Ansicht, dass hier die Gemeinde gemeint ist. Doch der Begriff »Israel Gottes« bezeichnet hier die Juden, die von ihrer leiblichen Abstammung her Juden sind und den Herrn Jesus als ihren Messias angenommen haben.

W. MacDonald lehnt zurecht die Auslegung ab, dass die Gemeinde Israel ersetzt habe. »Der Israel Gottes« ist »der eine neue Mensch« (Eph.2,15), der die Gesamtheit von Abrahams Glaubenskindern aus Israel und aus den Nationen darstellt.

Gott ist seinem auserwählten Volk treu und erfüllt seine Verheißungen einschließlich Hos.2,21-22. Allerdings erscheint heute noch vielen Gläubigen die Sicht fremd, wie Gott die Brautgemeinde des Lammes sieht:

Die Braut des Lammes ist aus Gottes Sicht das an Jesus Christus gläubige Israel (nicht der Staat Israel) zusammen mit den Kindern Abrahams (Gal.3,7), die in der Zeit zwischen Pfingsten und der Entrückung aus den Nationen zum Glauben gekommen sind.

In Gottes Plan mit Israel können wir daher folgende drei Gruppen unterscheiden:

1) Brautgemeinde: Christusgläubige aus Israel plus Glaubenskinder Abrahams aus Nationen.

2) Fünf kluge Jungfrauen: Ihre brennenden Lampen deuten an, dass sie die baldige Ankunft des König-Messias verkünden (Mt.24,14: dieses Evangelium vom Reich wird in der ganzen Welt verkündigt werden, zum Zeugnis für alle Heidenvölker, und dann wird das Ende kommen).

3) Fünf törichte Jungfrauen: Der treue Überrest von Israel (Röm.11,26), der auf den König-Messias wartet und nicht den letzten falschen Messias anbetet.

Die zehn Jungfrauen repräsentieren den auf den König-Messias wartenden Teil von Israel. Alle gehen dem Bräutigam entgegen, schlafen aber ein, weil er verzieht. – Zu keiner Zeit hat die gesamte Gemeinde geschlafen. – Der laute Ruf um Mitternacht, durch den alle Jungfrauen aufgeweckt werden, ist m. E. die Kunde von der Entrückung der Brautgemeinde.

Zu dieser Zeit haben nur die fünf klugen Jungfrauen Öl und brennende Lampen. Die brennenden Lampen bedeuten das Zeugnis von dem nahe bevorstehenden Friedensreich. Sie setzen die Ankündigung des Reiches fort, die von Johannes dem Täufer und von Jesus Christus begonnen wurde. Nach ca. 3 ½ Jahren der Verkündigung des Evangeliums des Reiches werden sie in den Himmel entrückt (vgl. meinen Aufsatz: Das Geheimnis der frohen Botschaft in den dunkelsten Tagen) und nehmen am Hochzeitsmahl des Lammes teil (vgl. Off.19,7-9).

Über die fünf törichten Jungfrauen wird kein Gerichtsurteil gefällt, allerdings wird zu ihnen gesagt: Ich kenne euch nicht. (Mt.25,12) – im Gegensatz zu dem unnützen Knecht im zweiten Gleichnis: Mt.25,30 Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußere Finsternis. Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein. 

Aber an der Hochzeit des Lammes dürfen sie nicht teilnehmen, denn sie haben noch keine brennenden Lampen – also noch kein Zeugnis und keinen rettenden Glauben. Der Herr kennt sie (noch) nicht, und sie hatten noch keine Gelegenheit, ihn kennen zu lernen. 

Eine zweite Change für Menschen, die Jesus Christus abgelehnt haben gibt es nicht, denn wer dem Sohn nicht glaubt (d.h. wer sich weigert, dem Sohn zu glauben) wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm (Joh.3,36).

In der Gnadenzeit gilt: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben (Joh.20,29). Die fünf Törichten stellen m.E. den treuen Überrest Israels dar, der im Gegensatz zu den Gläubigen der Gnadenzeit zuerst sehen will und erst dann und glauben. Das wird ihnen gewährt:

Sach.12,10

Aber über das Haus David und über die Bewohnerschaft von Jerusalem gieße ich den Geist der Gnade und des Flehens aus, und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und werden über ihn wehklagen.

Zweites Gleichnis: Anvertraute Talente

Mt.25,14-15

Denn es (das Reich der Himmel) ist wie bei einem Menschen, der verreisen wollte, seine Knechte rief und ihnen seine Güter übergab; dem einen gab er fünf Talente, dem andern zwei, dem dritten eins, einem jeden nach seiner Kraft, und reiste ab.

Was bedeuten die anvertrauten Talente?

Röm.3,1-2 Was ist nun der Vorzug des Juden oder was der Nutzen der Beschneidung? Viel in jeder Hinsicht. Denn zuerst sind ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut worden.

Die prophetische Bedeutung dieses Gleichnisses ist das Gericht über die noch lebenden Knechte Gottes aus Israel, denn alle Anbeter des Tieres werden bei der Wiederkunft von Jesus Christus getötet (Offb.19,21). Dieses Gleichnis endet mit dem Richterspruch des König-Messias über den unnützen Knecht: den unnützen Knecht werfet hinaus in die äußerste Finsternis. Dort wird das Heulen und Zähneknirschen sein.

In diesem Gleichnis erhalten die Knechte entsprechend ihrer Fähigkeit verschiedene Gaben anvertraut. Zwei Knechte arbeiten fleißig, die Frucht ihrer Arbeit ist eine Verdoppelung ihrer Talente, und beide erhalten dieselbe Anerkennung ihres Herrn. Der dritte Knecht vergräbt sein Talent, arbeitet nicht, bringt keine Frucht und wird in die äußerste Finsternis geworfen.

In Lk.19,11-30 wird ein ähnliches aber doch unterschiedliches Gleichnis beschrieben. Alle Knechte bekommen dieselbe Gabe, jeder ein Pfund. Einer verzehnfacht der andere verfünffacht seine Gabe. Ihr Lohn entspricht ihrer Leistung.

In diesem Gleichnis in Mt.25 geht es offenbar im Wesentlichen um die Frage, ob überhaupt Frucht vorhanden ist oder nicht. Die ersten zwei Knechte dienen ihrem Herrn treu, bringen Frucht und werden belohnt. Der dritte Knecht bezeichnet seinen Herrn als hart und ungerecht und versucht damit, seine Untreue zu rechtfertigen. Obwohl er wie die beiden anderen eine gute Gabe empfangen hatte, wächst aus seinem bösen Herzen nur böse Frucht; darum wird er wie ein schlechter Baum abgehauen und ins Feuer geworfen (Mt.7,19).

Das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld hilft uns, das Verständnis der Prinzipien von Gottes Gericht zu vertiefen. Die gute Gabe des Herrn – das eine Talent – wird bei dem zweiten und dritten Boden als keimender Samen dargestellt, der aber keine Frucht bringt. 
Im Zusammenhang mit dem zweiten Gleichnis stellt sich für uns die Frage, wie ein Herz unter einer dünnen Bodenschicht steinhart werden kann. Das eindrücklichste Beispiel hierfür ist Pharao zur Zeit von Mose. Zunächst erbat Pharao Gottes Hilfe. Dann brach er mehrmals sein Versprechen. Als er aber das dritte Mal sein Herz selber verhärtete und sein Wort brach, überschritt er den Punkt, an dem keine Umkehr mehr möglich war. Nach dem Überschreiten dieses Punktes verhärtete Gott endgültig sein Herz. Diese Herzensstellung ist mit Heb.10,26-27 zu vergleichen. 


Auch die Menschen, in deren Herzen der Same zusammen mit den Dornen aufgeht, haben ein Talent empfangen; aber die Sorge der Welt und der Betrug des Reichtums ersticken das Wort, und er bringt keine Frucht (Mt.13,22). Sind das solche Menschen, die das gute Wort geschmeckt haben und abgefallen sind (Heb.6,5-6)? Ein Beispiel für einen Menschen, in dem der Betrug des Reichtums das Wort erstickt, ist Bileam. Er hat eine außergewöhnliche Geistesgabe, hört Gottes Stimme und kennt Gottes Willen; aber sein Leben wird bestimmt von der Gier, den Wahrsager-Lohn zu bekommen (2.Pet.2,15-16). 


Im Neuen Testament ist Judas Iskariot ein entsprechendes Beispiel. Er lebte 3 ½ Jahre als Jünger von Jesus Christus und war dabei heimlich ein Dieb. Zuletzt verriet er seinen Herrn für 30 Silberstücke. Als der Herr seinen Jüngern sagte, dass ihn einer von ihnen an die Juden überliefern würde, fragte Judas scheinheilig: Ich bin es doch nicht, Rabbi? – Dann vollendete er seinen Verrat und schließlich erhängte er sich. In Heb.6,8 wird das Herz solcher Menschen mit einem Boden verglichen, der nur Dornen und Disteln hervorbringt. 

In Gottes Gericht über seine Knechte entscheidet die Frucht und nicht die Geistesgabe: Mt.7,20-23 Darum werdet ihr sie an ihren Früchten erkennen. Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt und in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und in deinem Namen viele Wundertaten vollbracht? Und dann werde ich ihnen bezeugen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, ihr Gesetzlosen! 
Der Samen, der auf gutes Land gefallen war, brachte gute Frucht. Wer die Frucht des Geistes hervorbringt, ist mit dem Heiligen Geist versiegelt und damit in Ewigkeit ein Gotteskind. 

Das Gericht über die Lebenden aus den Nationen

Mt.25,31-34

Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen; und vor ihm werden versammelt werden alle Nationen, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König zu denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, Gesegnete meines Vaters, erbt das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an!

Dieses Reich ist das Messianische Friedensreich.

Mt.25,40

Und der König wird ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch, insofern ihr es getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, habt ihr es mir getan!

Neben dem Thron des Königs der Könige stehen seine geringsten Brüder, auf die der König hinweist. Wer von den Nationen während der intensivsten Drangsal aller Zeiten (Dan.12,1; Mt.24,15+21) bzw. der Drangsal Jakobs (Jer.30,7) den Juden Hilfe geleistet hat, wird gerecht gesprochen; sie haben dem von einem Engel verkündigten ewigen Evangelium geglaubt und nur Gott angebetet (Off.14,6). Alle anderen gehen in die ewige Pein.

Mt.25,45-46

Dann wird er ihnen antworten: Wahrlich, ich sage euch, insofern ihr es nicht getan habt einem dieser Geringsten, habt ihr es mir auch nicht getan! Und sie werden in die ewige Pein gehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.

Schlussfolgerungen

Die Rede unseres Herrn Jesus Christus in Mt.24-25 enthält Gottes dreifachen Plan für Israel:

1) Die Brautgemeinde ist der an Jesus Christus gläubige Teil von Israel, zu dem Gott die Glaubenskinder Abrahams aus den Nationen hinzugefügt hat. Vor dem Beginn des Tages von Gottes Zorn wird die Braut in die Wohnung entrückt, die unser Herr Jesus Christus bereitet hat (Joh.14,2-3). Das ist die erste Phase der alten, orientalischen Hochzeit. Das Gleichnis von den zehn Brautjungfrauen beginnt mit den Vorbereitungen der zweiten Phase der Hochzeit.

2) Die Versiegelung der 144 000 Auserwählten aus Israel muss erst abgeschlossen sein, bevor der Tag des Zornes Gottes beginnen kann (Off.7,2-3). Die fünf klugen Jungfrauen haben Öl für ihre Lampen (ein Bild für den Heiligen Geist). Sie sind damit ein Zeugnis für die kurz bevorstehende Ankunft des König-Messias. Sie verkünden aller Welt das Evangelium des Reiches und gehen mit dem Bräutigam zur Hochzeitsfeier.

3) Die fünf törichten Jungfrauen dürfen nicht an der Hochzeit teilnehmen. Sie haben noch einen Auftrag vor der sichtbaren Wiederkunft von Jesus Christus: Sie werden den 3.Tempel reinigen und den Opferdienst wiederbeginnen – wie die treuen Juden mit Judas Makkabäus im Jahr 165 v.Chr. (vgl. meinen Aufsatz: Die Zukunft des Tempels in Jerusalem). Nach der Wiederkunft des Messias werden sie im 1000-jährigen Friedensreich auf dieser Erde leben.  (2023-08)