Beispiele aus Davids Gebetsleben

Hartmut Ising

Einführung

David war ein Mann nach Gottes Herzen (1.Samuel 13,14). Wer von uns wünschte sich nicht auch, unserem Gott und Vater von Herzen zu gefallen? Wir würden auch gerne mehr von Davids Geheimnis lernen – von seiner wunderbaren Verbindung mit seinem Gott. Sicher könnten wir diesem Ziel näherkommen, wenn wir wüssten, in welchen Lebenslagen er die verschiedenen Psalmen gebetet hat.

Bei einer Anzahl von Psalmen wird uns diese wichtige Information in der Überschrift gegeben. Bei anderen Psalmen gibt der Inhalt selbst Hinweise, die eine Zuordnung zu den Lebensabschnitten von Davids Leben ermöglichen *). In der folgenden Darstellung werden die Gebete Davids anhand solcher Hinweise aus den Psalmen den verschiedenen Lebenssituationen zugeordnet.


*) Hinweise, die eine Zuordnung zu einzelnen Lebenssituationen ermöglichen, sind z.B. die Erwähnung von Jerusalem (Ps. 122, 2-31 oder von Zion (Ps. 14,7), die zeigen, dass diese Psalmen erst nach der Eroberung Jerusalems geschrieben wurden ( 2.Sam.5, 6-10) oder die Erwähnung Jedutuns (Ps. 39.1 / 2 Chr. 16,41) oder die Lob-und Dank-Versammlungen (Ps. 26, 12 / 1 Chr. 16), die David nach der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem organisierte, oder auch das Haus des Herrn bzw. sein Tempel (Ps. 27,4 / 2.Sam.7), ein Gedanke, der Davids Herz seit der Einholung der Bundeslade erfüllte. Wahrscheinlich dachte David beim Gebrauch dieser Worte an das Zelt für die Bundeslade in Jerusalem, wenn er vom Haus des Herrn redete. Wenn man nun bedenkt, dass David zwei große Verfolgungszeiten zu durchleben hatte, zuerst die Verfolgung durch Saul und dann viel später nach der Eroberung von Jerusalem die Flucht vor Absalom, so wird klar, dass Psalmen auf der Flucht vor Feinden zeitlich zugeordnet werden können, wenn z.B. Jerusalem oder Zion darin vorkommt.

Ein Liebeslied für Gott, den mächtigen Erretter

Wir beginnen mit Psalm 18. Die Überschrift lautet „Von dem Knecht des HERRN, von David, der dem HERRN die Worte dieses Liedes sang, an dem Tag, als der HERR ihn aus der Hand aller seiner Feinde errettet hatte, auch aus der Hand Sauls.“ Dann folgt ein wunderbarer Lobgesang: „Ich will dich von Herzen lieben, o HERR, meine Stärke! Der HERR ist mein Fels, meine Burg und mein Retter; mein Gott ist mein Fels, in dem ich mich berge, mein Schild und das Horn meines Heils, meine sichere Festung.“

Wenn man diese Worte liest, kann man sich nur von Herzen mitfreuen. Das ist eine richtige Liebeserklärung Davids an seinen Gott, der ihm wunderbar geholfen hat in allen Schwierigkeiten und Nöten, die David unter der Verfolgung von Saul und bei den Philistern erlebt hat. Wir können in den Psalmen, die entsprechende Überschriften tragen, darüber nachlesen. (Ps.59 / 1.Sam.19; Ps.56 u. 34 / 1.Sam.21; Ps.57 / 1.Sam.22; Ps.54 / 1.Sam.23).

Auch in Psalm 18 denkt David an die Hilfe Gottes und die Errettung, die er auf wunderbare Weise erlebt hat, und singt ihm dieses Loblied. In den nächsten Versen beschreibt David dann, durch welche Tiefen er gehen musste, und wie Gott ihn trotzdem errettet hat. Von Vers 20 an geht er dann darauf ein, was er als Grund dafür ansieht, dass Gott ihn errettet hat: „Er führte mich auch heraus in die Weite; er befreite mich, denn er hatte Wohlgefallen an mir. Der HERR hat mir vergolten nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinheit meiner Hände hat er mich belohnt.“ In Vers 34 beschreibt er seine Stellung: "Er macht meine Füße denen der Hirsche gleich, und stellt mich hin auf meine Höhen." Dieses Gebet stammt aus der Zeit, als er König geworden war, und Gott ihn aus den Händen der Feinde errettet hatte von Saul und den Feinden außerhalb Israels, den Philistern.

Später lernte David seinen Gott – aber auch sein eigenes Herz besser kennen. Er dachte darüber nach, was er in Psalm 18 gebetet hatte und betet nun im Psalm 30: „Ich sprach, als es mir gut ging: »Ich werde ewiglich nicht wanken!« HERR, durch deine Gnade hattest du meinen Berg fest hingestellt; als du aber dein Angesicht verbargst, wurde ich bestürzt.“ Das klingt ganz anders. David hat inzwischen einiges erlebt, wodurch er viel tiefer Gott – aber auch sich selbst kennen gelernt hat. Vorher glaubte er, dass Gott ihn aus Gefallen an ihm errettet habe. Wegen seiner eigenen Gerechtigkeit habe Gott ihn auf feste Höhen gestellt. – Was war der Grund zu diesem Umdenken und zu diesem Gebet?

David hatte viele Schlachten geschlagen, hatte Gott um Hilfe angerufen und Gott um Weisung gefragt, und Gott hatte ihm geholfen. Alles war so wunderbar. – Aber ganz unmerklich wurde ein Mensch sein bester Ratgeber anstelle seines Gottes. Wenn man weiß, wie David auf Gott vertraut hatte, und ihn immer um Rat gefragt hatte, ist man erstaunt und erschüttert zu lesen (2.Sam.16,23): „Ahitophels Rat galt nämlich in jenen Tagen so viel, als hätte man das Wort Gottes befragt; so galt jeder Ratschlag Ahitophels sowohl bei David als auch bei Absalom.“ Sein Vertrauen und seine Suche nach Führung waren ganz unmerklich von Gott weg auf die Ratschläge eines Menschen geglitten.

Nun begann Gott dem David zu zeigen, was seine eigene Gerechtigkeit wert ist. David ließ seinen Generalfeldmarschall alleine in den Krieg ziehen, denn es lief ja alles so gut, und er hatte Zeit. Und entsprechend unserem Sprichwort: "Müßiggang ist aller Laster Anfang", war es auch bei David; er guckte von seinem Schloss herunter, sah eine hübsche Frau sich baden im lnnenhof ihres Hauses – von dem erhöhten Schloss aus konnte er das alles beobachten.

Die Lust wurde in seinem Herzen groß, wie es damals schon bei Eva war, und er beging Ehebruch mit der Frau eines seiner besonderen Helden, mit der Frau des Urija. Danach wollte er die Schuld vertuschen, aber sein erster Plan, dass Urija als Vater des Kindes gelten sollte, misslang. Deshalb schickte er Urija in den Tod. David, der sich so auf seine eigene Gerechtigkeit verlassen hatte, war nun zum Ehebrecher und Mörder geworden!

Anschließend lebte er Monate lang in großer Feme von Gott, und sein Inneres verschmachtete, wie er es in Psalm 32 zum Ausdruck brachte. Aber dann schickte Gott den Propheten Nathan zu ihm, der ihm eine Geschichte erzählte. David merkte nicht, dass er selbst darin gemeint war und sprach unwissend über sich selbst das Todesurteil aus. Nathan sagt ihm: "Du bist der Mann!“…“ Urija, den Hetiter, hast du mit dem Schwert erschlagen, und seine Frau hast du dir zur Frau genommen.“ Gott ließ ihm auch sofort die Folge seiner Schuld ankündigen: "Nun soll auch von deinem Haus das Schwert nicht weichen.“ David bekannte: „Ich habe gegen den HERRN gesündigt!“ Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde hinweggenommen; du sollst nicht sterben! Aber das, was als Folge der Sünde angekündigt war, traf trotz der Vergebung ein.

Es ist auch für uns wichtig, zwischen Strafe und Folge der Sünde zu unterscheiden. Wer im Glauben um Vergebung seiner Schuld bittet darf wissen: "Die Strafe liegt auf Ihm!" (Jes.53,5). Aber die Folgen der Sünde haben wir oft trotzdem zu tragen. So war es auch in Davids Leben. Trotz der echten Buße und Vergebung musste David in seiner eigenen Familie die Folgen seiner Sünden erleben. Nach ein paar Jahren vergewaltigte sein Sohn Amnon seine Halbschwester. Als Rache dafür brachte Absalom, der Bruder von der Tamar, seinen Halbbruder um. Vergewaltigung und Mord unter den eigenen Kindern! Das alles musste David erleben als Folge der Sünde, trotzdem hatte er Vergebung der Sünde.

Davids Schuld vor Gott allein

Wir wollen nun lesen, wie David Buße tat. Er betet in Psalm 51 mit der Überschrift. „Als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Bathseba eingegangen war": „Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Güte, tilge meine Vergehen nach der Größe deiner Barmherzigkeit! ... Gegen Dich, gegen Dich allein habe ich gesündigt und getan, was böse ist in deinen Augen."

Hier erkennen wir die ganze Tiefe der Buße. David hatte sich an Menschen schwer versündigt, hatte seinen gerechten und treuen Helden durch die Waffen der Feinde umbringen lassen, und doch betet er nun, nachdem er Gottes Heiligkeit, aber auch seine Güte und Gnade erlebt hat, „an Dir allein habe ich gesündigt". Ihm ist klar geworden, die eigentliche Furchtbarkeit der Sünde liegt darin, dass er sich zwar an Menschen vergangen hat, aber das Wesentliche ist seine Sünde gegen Gott. Gegen diesen lieben Vater im Himmel, der ihn aus der Hand seiner Feinde errettet hat, dem er ein Liebeslied und Lob, Preis und Dank gesungen hat, gegen den hat er sich so schändlich benommen. David sieht, wo die eigentliche Tiefe seiner Sünde liegt.

So ist es, wenn ein Mensch die Heiligkeit Gottes überwältigt ist und in diesem Licht seine eigene Sünde erkennt, wird er bekennen: "Die eigentliche, schwerste Sünde ist, dass ich mich an Dir versündigt habe." Wenn es uns leid tut, dass wir Menschen wehgetan haben, ist das gut und richtig; aber die eigentliche, tiefe Buße und Umkehr von unserem falschen Weg, besonders vom Hochmut, der Wurzel der Feindschaft gegen Gott, fängt da an, wo wir unsere Sünde vor Gott erkennen und Gott um Vergebung bitten, weil wir ihn verunehrt haben. Dann werden auch wir wie David zum Glauben und zur Freude unserer Errettung zurückfinden.

Die Folgen von Davids Sünde: Absaloms Putsch

Absalom wurde für seinen Mord verbannt aber hinterher wieder begnadigt und durfte zurückkommen. Danach dauerte es nur noch ein paar Jahre, bis Absalom durch sehr geschicktes Taktieren das Herz des ganzen Volkes stiehlt. Er macht einen Aufstand in Hebron, und David weiß, dass fast das ganze Volk an Absalom hängt. Die einzige Rettung ist Flucht. Er nimmt seine Treuen mit, die Leibwache, seine Frauen und Kinder und noch ein paar treue Freunde, und er flüchtet in der Mittagshitze aus Jerusalem heraus. Dabei wird er furchtbar verspottet, wie in mehreren Psalmen zum Ausdruck kommt (z.B. Ps. 31, 12; 22,7+9; 69, 13). Dann geht es durch das Kidrontal und auf der anderen Seite den Ölberg hoch. Auf dem Ölberg mustert er seine Getreuen, schickt den Husai, der noch ein ganzes Stück älter war als er, zurück nach Jerusalem und sagt: " Versuche mal, den Rat des Absalom zu überspielen." Danach flüchtet er endgültig in Richtung Jordan, in die Wüste Juda auf dem Weg ungefähr nach Jericho.

David beugt sich unter Gottes Züchtigung.

Bei Bahurim hageln auf einmal Flüche und Steine auf David nieder. Simei beleidigt den flüchtenden König. Einer von Davids Generälen will den Simei töten, da sagt David: „Lass ihn doch fluchen! Wenn der HERR zu ihm gesagt hat: Fluche dem David! — wer will dann sagen: Warum tust du dies?“ An alle seine Getreuen fügt er hinzu: „Siehe, mein Sohn, der von meinem Leib gekommen ist, trachtet mir nach dem Leben; warum nicht jetzt auch dieser Benjaminiter? Lasst ihn fluchen; denn der HERR hat es ihm geboten!“ Und David und seine Männer gingen ihres Weges, während Simei an der Seite des Berges neben ihnen herging, im Gehen fluchte, mit Steinen nach ihm warf, immer neben ihm her, und ihn mit Erde bewarf.

Der König und alles Volk, das bei ihm war, kamen erschöpft am Wasser des Jordans an, und dort erholte er sich wieder. Wörtlich heißt es, dort atmete David auf. Total erschöpft kam er am Jordan an. Unterwegs betete er den Psalm 38: "Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm! … Ich aber bin wie ein Tauber und höre nichts, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Ja, ich bin wie einer, der nichts hört, und in dessen Mund kein Widerspruch ist. Denn auf dich, HERR, harre ich; du wirst antworten, o Herr, mein Gott!“ In diesem Gebet schüttet David sein Herz aus vor seinem Gott und bekommt von ihm die Kraft, um den Spott zu ertragen – und zwar nicht nur eine halbe Stunde lang. Der Weg bis zum Jordan ist weit.

Ahitofel und Husai beraten Absalom.

Inzwischen geht Husai nach Jerusalem zurück. Absalom ist bereits mit großen Ehren in Jerusalem eingezogen als der neue, bejubelte König, dem das Volk sowieso lange viel mehr anhing als seinem Vater David. Eine große Ratsversammlung wird einberufen und Ahitofel, von dem wir schon vorher hörten, dass sein Wort zu der Zeit mehr galt als das Wort Gottes, gibt folgenden Rat: "Sofort 12 000 Mann mustern und unter meiner Führung David verfolgen und töten, noch diese Nacht! Dann laufen die anderen Anhänger Davids auseinander und das ganze Volk ist für alle Zeit auf Seiten des neuen Königs Absalom." Absalom hört sich diesen Rat an und sagt: "Sicherlich ein interessanter Rat, aber wollen wir doch auch den Rat von Husai hören."

Husai hatte inzwischen schon zwei Priestersöhne mit der Botschaft zu David geschickt: "Du musst noch heute Nacht den Jordan überqueren! Höchste Lebensgefahr wegen Ahitofels Plan!" Denn Husai wusste, dass David diesseits des Jordans übernachten wollte.

Als dann Absalom Husais Rat erfragte antwortete dieser: "Der Rat von Ahitofel ist gefährlich, denn ausgewählte Kämpfer sind mit David zusammen. Wenn dieser Überraschungsangriff nicht gelingt, und David sich doch retten kann, und zudem die Verluste auf unserer Seite bekannt werden, dann könnte das Volk wankelmütig werden. Ich gebe den Rat, dass so etwas nicht in Übereilung getan wird, sondern rate zu einer Total-Mobilmachung. Dann sollst du, König Absalom, an der Spitze des ganzen Volkes gegen die kleine Schar ziehen, die David dann noch hat, und dann wird es eine ganz große, glänzende Schlacht geben, und du bist der gefeierte Feldherr, Sieger und König gleichzeitig." Dem stolzen Absalom gefiel dieser Rat, und er nahm ihn an. Ahitofel wusste, dass damit die Sache verloren war und erhängte sich.

Die grauenvollste Nacht in Davids leben

Von dem Ganzen wusste David aber noch nichts. Als er sich am Jordan erholen will, ist es inzwischen Abend geworden, und die beiden Priestersöhne bringen David die Botschaft: „Heute Nacht kommt Ahitofel mit 12 000 Mann! Wenn ihr nicht sofort über den Jordan geht, seid ihr alle Kinder des Todes."

Was sich jetzt anschließt, ist die grauenvollste Nacht im ganzen Leben Davids. Am späten Abend oder in der Nacht, wo er sich gerade zum Schlafen eingerichtet hatte, musste David mit seiner ganzen Familie und Gefolgschaft über den Jordan. Eine Brücke gab es nicht. Den Jordan zu überqueren, einen Fluss mit kräftiger Strömung, ist gefährlich – und das bei Dunkelheit! David macht sich für diesen Übergang bereit und schreit dabei zu seinem Gott. Das Ganze ist aber deswegen so grauenvoll, weil er keine Verbindeng mehr zu Gott hat. Er hat vorher dieses Fluchen Simeis gehört und alles Gott hingelegt und auf Gott geharrt, aber bisher keine Antwort bekommen. Nun schreit er zu Gott (Ps.22): "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? … Alle, die mich sehen, spotten über mich; sie reißen den Mund auf und schütteln den Kopf: »Er soll doch auf den HERRN vertrauen; der soll ihn befreien; der soll ihn retten, er hat ja Lust an ihm!“ (Diesen Spott hatte er in Jerusalem gehört.) Und nun betet er weiter: "Sei nicht fern von mir! Denn Drangsal ist nahe, und kein Helfer ist da. Es umringen mich große Stiere, mächtige [Stiere] von Baschan umzingeln mich." (Er fürchtet hinter sich das Heer Ahitofels und vor sich den Jordan.) „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, und alle meine Gebeine sind ausgerenkt. Mein Herz ist geworden wie Wachs, zerschmolzen in meinem Innern.“ Dann denkt er zurück, was die Feinde jetzt in Jerusalem tun, Absalom mit seinem Gefolge: „Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand.“ Sie hatten sich da in dem Palast mehr als gütlich getan. Der erste Rat des Ahitofel war, dass Absalom Zelte oben auf dem Dachgarten aufbauen sollte, da, wo David runtergeguckt hatte, und die Bathseba gesehen hatte, da richtete nun Absalom Zelte auf und beging Ehebruch mit den zurückgebliebenen Nebenfrauen von David. David stellt sich das alles vor, wie die ganze Horde von Absalom in seinem Palast haust und wie sie sich auch die königlichen Gewänder teilen. „Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand.“ Und in diesem Gebet wird David durch Gottes Geist so geführt, dass er etwas ausspricht, was wir überhaupt nicht verstehen können. "Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben."

Bei diesem Gebet denkt David, er wäre von Gott total verlassen. Das ist sein subjektiver Eindruck, so schreit und betet er. Trotzdem steht er in dieser scheinbaren Gott-Verlassenheit unter der direkten Leitung des Heiligen Geistes. Er betet und durchleidet prophetisch als Vorbild Einzelheiten von dem, was im Kreuzesleiden von Jesus Christus in Erfüllung gehen sollte.

David ringt im Gebet bis zur Erhörung und wird gestärkt.

David betet weiter und bleibt im Ringen und Harren, bis er Gottes Antwort spürt: „Errette mich aus dem Rachen des Löwen! — Ja, du hast mich erhört.“ Auf einmal ist ihm klar, "jetzt ist mein Gebet angekommen". Nun macht er Gott ein Versprechen: „Inmitten der Versammlung will ich dich loben.“ Er hatte selbst diese Lob- und Dankchöre und Musiker bestellt zum Gottesdienst (2.Chr. 16,37-42). In dieser großen Versammlung wollte er aufstehen und bekennen, was Gott an ihm getan, wie er ihn errettet hatte.

Etwas später betet er dann den Psalm 3, wo die Überschrift heißt: "Von David, als er vor seinem Sohn Absalom floh.“ „Ach HERR, wie zahlreich sind meine Feinde! Viele erheben sich gegen mich; viele sagen von meiner Seele: Sie hat keine Hilfe bei Gott.“ Aber in seinem Herzen ist eine riesenhafte Wandlung vorgegangen; äußerlich ist keine Änderung sichtbar; er ist zwar auf der anderen Seite des Jordans und hat dabei die Hilfe Gottes persönlich erlebt, niemand von seiner ganzen Familie ist umgekommen; und daran hat er erlebt, wie Gott seine Hand über ihn gehalten hat. Aber die Feinde sind genauso zahlreich wie vorher; trotzdem ist in seinem Herzen Frieden und Ruhe eingekehrt, und er betet vor der nächsten Nacht: „Ich legte mich nieder und schlief; ich bin wieder erwacht, denn der HERR hält mich. Ich fürchte mich nicht vor den Zehntausenden des Volkes, die sich ringsum gegen mich gelagert haben.“

Inzwischen hat er von dem Rat des Husai gehört, dass nun nicht bloß 12 000 Mann auf ihn losgehen, sondern zehntausende von Kriegsvolk. Aber in seinem Herzen ist Frieden eingekehrt, der Friede Gotte, der höher ist als alle Vernunft. Das kommt auch in Psalm 27 zum Ausdruck: „Der HERR ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? Wenn Übeltäter mir nahen, um mein Fleisch zu fressen, meine Widersacher und Feinde, so müssen sie straucheln und fallen. Selbst wenn ein Heer sich gegen mich lagert, so fürchtet mein Herz sich dennoch nicht; wenn sich Krieg gegen mich erhebt, so bin ich auch dabei getrost… Nun ragt mein Haupt hoch über meine Feinde, die um mich her sind, und ich will Jubelopfer bringen in seinem Zelt; ich will singen und spielen dem HERRN. O HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und antworte mir!“ Ein wunderbarer, glaubensvoller Lobgesang in einer Zeit, wo sich ein riesiger Krieg gegen David erhebt und er noch gar nicht weiß, wie viele oder wenige auf seiner Seite stehen werden. – Aber auf seiner Seite steht Gott!

Die Entscheidungsschlacht

Er flüchtet weiter ins Ostjordanland, nach Gilead. Auf dieser beschwerlichen Flucht kommt ihm ein alter, wohlhabender Freund, Barsillai, entgegen und bringt in großen Mengen Lebensmittel und Decken und alles, was die königliche Familie auf der Flucht braucht. Er deckt dem David buchstäblich im Angesicht seiner Feinde einen Tisch. Nun betet er (Ps. 31): „Errette mich durch deine Gerechtigkeit! …In deine Hand befehle ich meinen Geist.“ (Ein weiteres Gebet, das unser Herr Jesus am Kreuz gebetet hat.)

Dann betet er weiter: „Sei mir gnädig, o HERR, denn mir ist angst; vor Gram sind schwach geworden mein Auge, meine Seele und mein Leib; denn mein Leben ist dahingeschwunden in Kummer und meine Jahre mit Seufzen; meine Kraft ist gebrochen durch meine Schuld, und meine Gebeine sind schwach geworden.“ Merken wir, wie anders es nun in seinem Herzen aussieht? Was ist jetzt geschehen? Er ist jetzt, wie wir aus Vers 22 entnehmen können, in der Stadt Mahanajim angekommen, und die Entscheidungsschlacht tobt bereits.

Erst wollte er selbst mitkämpfen, aber seine Generäle sagten ihm: "Du bleibst in der Stadt; dein Leben ist mehr wert als 10 000 von uns; und erst wenn wir geschlagen sind, kannst du mit den Letzten aus der Stadt uns noch zu Hilfe kommen". Der Kampf tobt im Wald, und David hört und sieht nichts mehr davon, aber in seinem Herzen beginnt der Zweifel zu nagen. Wie wird es ausgehen? In diesem Zweifel schreit er zu Gott: „Sei mir gnädig, o HERR, denn mir ist angst!“ Und er erinnert sich zurück, wie es in Jerusalem gewesen ist: "Vor all meinen Feinden bin ich zum Hohn geworden, meinen Nachbarn allermeist, und ein Schrecken meinen Bekannten; die mich auf der Gasse sehen, fliehen vor mir.“ Das hatte er alles in Jerusalem erlebt, und nun nagt der Zweifel an seinem Herzen, und er macht aus diesem Zweifel und aus dieser Sorgenlast ein Gebet. Daraufhin darf er erleben, dass ihn sein Gott stärkt, und er betet: "In Deiner Hand sind meine Zeiten, rette mich aus der Hand meiner Feinde und vor meinen Verfolgern."

Auf einmal kommen zwei Boten angerannt. Wenn nur einzelne Boten kommen und nicht ein zurückfliehendes Heer, dann ist es für den Beobachter auf dem Turm klar, dass sie gute Botschaft bringen. Der Wächter teilt es David mit, und David preist den Herrn (Ps 31, 22): „Gelobt sei der HERR, denn er hat mir seine Gnade wunderbar erwiesen in einer festen Stadt!“ Diese Stadt ist Mahanajim. Er denkt zurück an die Stunden des nagenden Zweifels: "Ich zwar dachte in meiner Bestürzung, ich bin weggenommen aus Deinen Augen; doch Du hast die Stimmen meines Flehens gehört, als ich zu Dir schrie." Und dann betet er weiter: „Liebt den HERRN, alle seine Frommen! Der HERR bewahrt die Treuen, und er vergilt reichlich dem, der hochmütig handelt.“ Damit macht er sich mit dem Ratschluss Gottes eins, dass sein Sohn, Absalom, der sehr anmaßend gehandelt hatte, sterben musste. David wollte zwar Absaloms Leben verschonen, aber Joab hatte sich über den Befehl des Königs hinweggesetzt und die Todesstrafe an Absalom vollzogen, als er an seinen Haaren an einer Terebinthe hing. David war zuerst tief traurig, aber mit diesen Worten sagt er „ja“ zu dem Todesurteil, das Gott über seinen Sohn gesprochen hat: "Er vergilt reichlich dem, der hochmütig handelt."

Die Entscheidungsschlacht ist also gewonnen, und David kann zurückkehren. Nun betet er den Psalm 30, aus dem wir am Anfang schon einige Verse zitiert hatten. In der Überschrift steht "Ein Lied zur Einweihung des Hauses. " In der neuen Elberfelder Fußnote steht "Einweihung des Hauses, nämlich des Tempels." Aber das Wort, das David da verwendet, ist nicht das Wort, das für den Tempel benutzt wird, sondern für ein anderes, besonderes Haus. Und dieses Haus kann nur sein eigener Palast gewesen sein. Wir haben uns ja klar gemacht, wie Absalom diesen Palast entweiht hatte. Zur erneuten Einweihung seines Palastes hat David dieses Gebet gesprochen. Jetzt denkt er zurück, warum Gott alles so geführt hat, und er bekennt Gott: „HERR, durch deine Gnade hattest du meinen Berg fest hingestellt; als du aber dein Angesicht verbargst, wurde ich bestürzt. Zu dir, HERR, rief ich; zu dem HERRN flehte ich [um Gnade]: »Wozu ist mein Blut gut, wenn ich in die Grube fahre? Wird dir der Staub danken, wird er deine Treue verkündigen?“ Und dann kommt die große Wendung: „Du hast mir meine Klage in einen Reigen verwandelt; du hast mein Trauergewand gelöst und mich mit Freude umgürtet, damit man dir zu Ehren lobsinge und nicht schweige. O HERR, mein Gott, ich will dich ewiglich preisen!“

Rückkehr nach Jerusalem und ins Haus des Herrn

Auf der Rückkehr nach Jerusalem denkt er an das, was er erlebt hat, und noch einmal denkt er an das ganze Grauen, aber auch an die wunderbare Gnade Gottes und die Errettung, und er betet den Psalm 23: „Der HERR ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grünen Auen und führt mich zu stillen Wassern. Er erquickt meine Seele; er leitet mich in Pfaden der Gerechtigkeit um seines Namens willen.“ David hat erkannt: Es ist Gott, der mich in Pfaden der Gerechtigkeit leitet, es ist nicht meine eigene Gerechtigkeit. Er handelt „um seines Namens willen“. „Und wenn ich auch wanderte durchs Tal der Todesschatten, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, die trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde.“ – Buchstäblich hat er das erlebt, das Tal des Todesschattens in der grauenvollen Nacht im Jordantal und danach der von Barsillai gedeckte Tisch angesichts des herannahenden Heeres von Absalom. – „Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über. Nur Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens, und ich kehre zurück*) ins Haus des Herrn lebenslang." In dieses Zelt in Jerusalem, wo er Gott anbeten kann, da, wo die Bundeslade mit dem Gnadenthron ist, dahin darf er zurückkehren, und es ist seine Freude, dass er lebenslang dahin zurückkehren darf.

In der tiefsten Not betete er den Psalm 22, jetzt bei dem Gedanken an sein Erleben und bei der Freude über die Rückkehr den Psalm 23 und anschließend beim Einzug in Jerusalem den Psalm 24. In diesem Psalm schaut er gleichzeitig prophetisch den Einzug des Messias in Jerusalem in späterer Zeit: „Dem HERRN gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner; denn Er hat ihn gegründet über den Meeren und befestigt über den Strömen. Wer darf auf den Berg des HERRN steigen? Und wer darf an seiner heiligen Stätte stehen?“ (Das ist Jerusalem, - Jerusalem liegt auf einem Berg, 800 m hoch) – David darf es. Er darf wieder hinaufsteigen zum Berg des Herrn. Wer sonst darf es? „Wer unschuldige Hände hat und ein reines Herz, wer seine Seele nicht auf Trug richtet und nicht falsch schwört.“

Er hat es erlebt, er hat reine Hände auf Grund der Vergebung, die er erlangt hat durch Gottes Güte. Und dann schaut er über seinen eigenen Einzug in Jerusalem hinaus und singt: „Hebt eure Häupter empor, ihr Tore, und hebt euch, ihr ewigen Pforten, damit der König der Herrlichkeit einziehe!“ Nicht er selber, er ist ja unwichtig, der König der Herrlichkeit wird einziehen! „Wer ist denn dieser König der Herrlichkeit? Der HERR der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit!“ Jetzt denkt er nicht mehr daran, dass er selbst zurückkehren darf, sondern freut sich, dass einmal der ihm von Gott verheißene Nachkomme in Jerusalem einziehen wird, der Gesalbte Gottes, der in Ewigkeit König sein wird.


*) So nach der revidierten Elberfelder Übersetzung – in Übereinstimmung mit dem masoretischen Text.

Das neue Lied der Gnade

In Psalm 40 fasst er noch einmal zusammen, was er mit seinem Gott erlebt hat: „Beharrlich habe ich auf den HERRN geharrt, da neigte er sich zu mir und erhörte mein Schreien.“ Darauf kommt es an, auch in der Not, wenn man sich total verlassen vorkommt, beharrlich auf den Herren zu harren, bis er wieder hört. „Er zog mich aus der Grube des Verderbens, aus dem schmutzigen Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels; er machte meine Schritte fest.“ Das hatte er schon mal in Psalm 18 gebetet und in Psalm 30 daran gedacht. Und nun hat er es noch einmal erlebt „Er stellte meine Füße auf einen Fels; er machte meine Schritte fest und gab mir ein neues Lied in meinen Mund, ein Lob für unseren Gott.“

Ein neues Lied, was ist das für ein Lied? Als erstes hat er gelernt, nicht mehr zu singen: „Gott hat mich errettet um meiner Gerechtigkeit willen" – sondern etwas ganz anderes – „Deine Gerechtigkeit verbarg ich nicht in meinem Herzen, ich redete von deiner Wahrheit und von deinem Heil; deine Gnade und Wahrheit verschwieg ich nicht vor der großen Gemeinde“. Er hat das Gelübde, das er Gott gemacht hatte, in die Tat umgesetzt; und nun preist er nur noch Gottes Treue und Barmherzigkeit, Gottes Gerechtigkeit und vor allen Dingen seine Gnade. Er, David, hatte das Todesurteil verdient und hat Gnade und Barmherzigkeit erlangt.

Das ist sein neues Lied: „Du, HERR, wollest dein Herz nicht vor mir verschließen; lass deine Gnade und deine Wahrheit mich allezeit behüten! Denn Übel ohne Zahl haben mich umringt, meine Verschuldungen haben mich ergriffen; ich kann sie nicht überschauen; sie sind zahlreicher als die Haare meines Hauptes, und mein Mut hat mich verlassen.“ Das ist der Blick auf sich selbst – aber dann folgt der Blick auf den Herrn: „Du, HERR, wollest dein Herz nicht vor mir verschließen; lass deine Gnade und deine Wahrheit mich allezeit behüten! …Du bist meine Hilfe und mein Retter; mein Gott, säume nicht!“ Das ist das neue Lied Davids, des Mannes nach Gottes Herzen. Von ihm können wir lernen, ein Lobpreis der Gnade Gottes zu sein, denn auch unsere Bestimmung ist (Eph. 1,6) "Zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade."

(2019-09)